Blutige Nase und/oder weise Entscheidung?
Ende, Das wars. Ich beende den Trip in Fort Yukon.
Ich höre auf mein Gefühl und auch die Vernunft. Ich versuche das Geschehene mal chronologisch aufzubauen, ab dem Tag nach dem Finale.
Montag
Am nächsten Tag ist es immer noch stürmisch. Aber wir fassen den Plan, in Thomas Kajak zu zweit gegen die Strömung zurück nach Fort Yukon zu paddeln. An Thomas Zelt sind nämlich mittlerweile alle Zipper der Reißverschlüsse komplett hinüber, ein absolutes Unding auf so einer Tour.
Das wird ein absoluter Höllenritt. Wir steigen um ca. 6 Uhr morgens ein und fahren am kabbeligen Wasser von gestern vorbei, einen Arm des Porcupine hinauf weil da die Strömung nicht ganz so stark zu sein scheint. Es ist unglaubich anstrengend. Wann ist denn diese Insel vorbei? Fragen wir uns. Da tut sich ein Kanal auf, aber da strömt auch das Wasser gegen uns. Es wird sehr flach und wir laufen auf, müssen das Boot ziehen. Schließlich geht es wieder, sehen das „Festland“ von weitem und legen uns noch einmal ins Zeug. Nach 2 Stunden erreichen wir völlig erschöpft eine anlegestelle mit Straßenanbindung nach Fort Yukon. Nach kurzem Fußmarsch kommen wir am Flughafen vorbei und erkundigen uns nach Flügen nach Fairbanks, aber man rät uns, besser jemanden Bekannten in Fairbanks das neue Zelt in ein Flugzeug nach Fort Yukon zu legen, das ist wesentlich günstiger.
Plötzlich kommt mit Hannah eine Freundin von Ginny aus dem BnB rein und holt ein Päckchen ab. Sie nimmt uns mit zu Ginnys BnB. Ginnys Sohn Sam wohnt in Fairbanks und besorgt uns Zelte (ich nutze die Chance und besorge mir ein Ersatzzelt, weil meine Zipper absehbar den Geist aufgeben werden), derweil finde ich meine GoPro unter dem Bett von gestern wieder. Schließlich haben wir eine lange Pause, weil die Zelte erst abends um 19 Uhr da sein werden. Wir erledigen ein paar Einkäufe und ich beantworte die Email von der SPOT Gesellschaft, die nicht besonders hilfreich war. Birgit sagt mir, dass die OK Nachricht von gestern auch nicht angekommen ist. Zum Kotzen. Zurück bei Ginny sinnieren wir über den Wetterbericht, der den gleichen Wind für die nächsten 5 Tage ansagt. Fressen die Flats jetzt meine Pufferzeit für das eigentliche Ende der Tour auf? Noch mehr solche Momente wir kurz nach dem Finale brauche ich nicht, das war eindeutig die Grenze für mich und die Freiherz. Ich kann nur „Aussitzen, bis besseres Wetter da ist“. Auch unsere kleine Gemeinschaft scheint kurz vor der Auflösung, weil ich so natürlich für Thomas eine Bremse bin, was ich nicht sein will. Wir sinnieren ein Weilchen, entschließen uns aber doch, bis zum Dalton-Highway gemeinsam zu paddeln. Noch 280km. Am Abend paddeln wir durch den Wind zurück und fallen unglaublich müde in unsere Schlafsäcke. Im Kajak geht das alles eindeutig besser.
Dienstag
Es bleibt so windig. Dafür wird gerade das Fischnetz kontrolliert, das an unserer Insel festgemacht war. Von den drei Fischern bekommen wir einen großen Weißfisch, den wir sofort braten und verschlingen. Wenigstens ein paar schöne Momente zwischendurch, so wie auch gestern beim Abendbrot so gegen 23 Uhr: Ein kleiner Fuchs kommt aus dem Wäldchen fast direkt auf uns zu. Er bemerkt uns nicht, trabte aber schon bald aus dem Blickfeld. Wo ist die Kamera??? Zu spät…
Mittwoch
Die Lage ist unverändert.
Donnerstag
Der Wind bläst weiter. Irgendwie scheint der Fluss zu sagen: „Nicht dieses Jahr, Bernd; nicht im solo-gepaddelten Tandem-Kanadier“. Wo ist die Grenze zwischen weiser Entscheidung und verfrühtem Beenden? Selbst wenn der Wind nachlässt – und mein Gefühl sagt mir, dass er das nicht wird, sind es so noch mit meinem Gefährt und der Wetterlage für mich 5-6 Tage bis zur Brücke am Dalton Highway. Wieviel Puffer-Zeit habe ich dann insgesamt noch? Ich schaue mir die Strecke auf der Karte an und mir dräut, dass der Wind auf diesem Teil extrem weite Flächen und gerade Strecken hat, Wellen aufzubauen (von wegen „Flats“…). Das wird so schnell nicht besser werden. Welchen Preis bezahle ich für das Erreichen des Dalton Highways, welches Risiko gehe ich dabei ein, wie fühle ich mich im Boot, wo war die Grenze mit Wind und Wellen? Lasse ich mich zu sehr von meiner aktuell miesen Laune beeinflussen? So viel Kampf für diese Tour und dann das Ziel nicht erreichen? Ist es so schlimm, die Grenze zu akzeptieren, dafür aber einen Grund zu haben, wieder zu kommen und die Tour gemeinsam mit dem Fluß – nicht gegen ihn – zu beenden?
Gefühlsentscheidung
Ich überlege noch einmal, denke an den Beginn der Tour – Wind – und höre auf dieses Gefühl, dass mir der Fluss zu sagen scheint, dass es dieses Jahr nichts wird. Das Fischerboot von vor 2 Tagen kommt zufällig vorbei, ich winke es heran. Sie nehmen mich mit nach Fort Yukon, gegen ein wenig Spritgeld. Ich fühle mich erleichtert und mies zugleich. Thomas wollte ohnehin am nächsten Tag notfalls auch allein aufbrechen, er bleibt auf der Insel, kommt nicht mit; ich lasse ihm noch meinen Bezinkanister, Brot und Wasser da, gebe ihm noch die Sectional Aeronautical Map von den Flats, und dann geht alles ganz schnell. Ich wünsche ihm alles Gute und dass er im Wind weise Entscheidungen trifft.
Warum höre ich auf dieses Gefühl?
Das wird niemanden überraschen, dass dies meine bisher extremste Tour war. Aber auf dieses „lass es besser“-Gefühl konnte ich mich auch auf den bisherigen Touren immer verlassen. Es hat mich davon Abgehalten, Unsinn anzustellen. Manchmal geht es einfach nicht. Besser ich komme mit den Erfahrungen eine Tages weiser wieder.