Devil’s Elbow

Nach der kurzen Aufregung um eine Zeltmöglichkeit gegenüber Paimut Island (USGS-Karte Russian Mission) verlief die Nacht wunderbar ruhig, und am Morgen war es nahezu windstill. Der Wasserstand war sogar gesunken über Nacht. Ohne auf die Uhr zu gucken paddelte ich los und machte nach ca. 13 Meilen kurz Pause auf eine Insel. Der Strand war sehr flach, ich zog das Boot nicht komplett raus, sondern so, dass es „eigentlich nicht wegschwimmen kann“ und nahm das Bootsseil mit zu mir: Ich breitete eine Plane aus und legte mich stumpf drauf, das Bootsseil an meinem Gürtel festgebunden. Während ich in den blauen Himmel guckte, schlief ich ein. Als ich aufwachte, war das Boot… natürlich noch an Ort und Stelle. Ich verleibte mir einen Müsliriegel ein, trank einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne und taperte ein wenig über den Strand. Da waren frische Fußspuren – barfuß! Und eine rinnenartige Schleifspur parallel dazu. Hier ist jemand mit einem Kajak unterwegs und hat es hier barfuß hinter sich her über den Strand gezogen, sherlockte ich in mich hinein. Anders konnte ich mir dieses Arrangement an Spuren jedenfalls nicht erklären, so absurd das auch wirkte. Nachdem sich Rinne und Fußspuren ein wenig Richtung Ufer verliefen, blickte ich mich in einem leicht paranoiden Anfall zu meinem Boot um – es war noch da. Dennoch begann ich ein kleines bisschen an meinem Geisteszustand zu zweifeln – barfuß… und das mit den Mücken. Obwohl… das war ja schon lange nicht mehr so schlimm hier. Ich beschloss, bei der nächsten guten Gelegenheit das Nachtlager zu machen und keine Höllenritte mehr zu veranstalten.

Nach der eine-Ewigkeit-dauernden Biegung bei Pearl Island mit wehrigem Wasser machte ich gegen 21.30 Uhr abends noch einmal Pause auf einer Mini-Insel gegenüber dem Cottonwood Point, in Windstille und einer grandiosen Atmospähre, als die Sonne ganz langsam neben dem Baldhead Mountain (fast) unterging. Die insel war eigentlich nicht weit genug weg vom Festland um für Bären zu weit weg zu sein, aber ich entschied zu bleiben. Es war zu schön hier. Ich nahm ein Bad im a***kalten Wasser und schlug mir den Wanst voll, dann kroch ich ins Zelt, das ich auf dem höchsten Punkt der Insel (satte eineinhalb Meter ü.N.N.) aufgebaut hatte.

Insel am Cottonwood Point. Im Hintergrund: Baldhead Mountain

Die Nacht war noch ruhiger als die vorherige und der Wasserstand sank weiter, Bärenbesuch hatte ich nicht. Ich wollte mir heute die endlosen Biegungen sparen und wechselte dafür die Uferseite direkt nach dem Start, die Gelegenheit war gut. Die Sonne brannte unerbittlich auf das Wasser. Direkt vor Russian Mission querte ich den Fluß abermals und erreichte das Dorf gegen 16.30 Uhr nachmittags. Es gab keine richtig gute Stelle zum Anlegen und auch keine gute Zeltmöglichkeit in Nähe des Strandes oder gar am Strand, die nicht potentiell Gefahr lief, zufällig einer Quad im Weg zu sein – es war Freitag (20.07.) und die Dorfjugend hatt später am Abend bestimmt Langeweile. Nachdem ich mir in einem der Stores frische Äpfel gekauft und eine kalte Pepsi gegönnt hatte, besuchte ich das Tribal/City Office und fragte ich nach Internet und dem Wetterbericht. Man ließ mich schnell machen und sagte mir, ich sollte mich doch noch an einen Jon Pitkas wenden, wenn ich noch ein paar Infos über den Fluss bräuchte. Ich traf ihn bei Freischneiderarbeiten und wir gingen wieder zum Tribal Office, wo er mir eine Abkürzung nach Pilot Station verriet und auf der Karte markierte. Einen minimalistischen Paddler (nur Plane und Kajak) habe man auch gesehen. Und mit Nachdruck erklärte er mir, doch beim Devil’s Elbow, einer harten Flussbiegung, an der der Yukon von der aktuellen groben Fließrichtung West-Südwest auf Nordwest schwenkt, vorsichtig zu sein. Die Strömung ist stark und das Mini-Klima (Windrichtung) kippt an der Stelle auch häufig. Das machte mir nicht unbedingt gute Laune, denn der einzige brauchbare Reisebericht verlautete mit „This is a nasty place to get caught in a storm. The bending river boils up strange currents and there are few places to pull to shore along the bluffs. […] Be very cautious paddling through here: if the weather seems even slightly bad, just pull over and camp until it blows past.“ nichts gutes. Zusammen mit dem Wetterbericht (heute noch gut, morgen Regen und Wind) wurde ich etwas unruhig. Ich paddelte schnelle weiter, auch weil an meinem Boot sich bereits eine Traube aus neugierigen Kindern eingefunden hatte – hier würde ich niemals Ruhe bekommen 🙂 Ich paddelte noch ungefähr 10 Meilen weiter bis zu einer kleinen Insel gegenüber von Grand Island, die ich um ungefähr 20 Uhr erreichte. Diesmal baute ich noch die Strandmuschel mit auf, falls es am Morgen regnen sollte – dann konnte ich wenigstens trocken frühstücken. (Im Vergleich zu dem Kerl mit der Plane kam ich mir vor wie das andere Extrem und musste ein wenig über mich und meinen ganzen Plunder lachen.) Mit der Aussicht auf schlechtes Wetter und auf Devil’s Elbow, der noch ca. 12 bis 15 Meilen entfernt war, genehmigte ich mir ein fürstliches Abendessen im letzten Sonnenschein (gebratener Reis mit Rührei) und schlief sehr schlecht zu dem in der Nacht beginnenden Regen.

Ein paar Meilen unter Russian Mission
gefühlt: Henkersmahlzeit

Als ich aufwachte, war der Schlafsack von außen nass. Aber nur Kondenswasser. Ich aß wenig und baute schnell alles ab, als ich dunkle Wolken aufzeiehen sah. Es blieb aber alles trocken. Kurz nach dem Ende von Grand Island sah ich den wohl größten Schwarzbären meiner Outdoorkarriere – gut, dass ich dem nicht direkt begegnet bin. Danach frischte es auf und es fing an zu nieseln. Na prima, „a hell’s night lässt grüßen“ machte ich mir ins Hemd und beschloss, kurz vor Devil’s Elbow noch einmal Pause auf Elsie Island zu machen. Ich querte die (viel größer als die Karte zu vermuten ließ) freie Passage auf dem Wasser und kämpfte mit dem Wind. Die Insel war ein guter Rastplatz – zur Not konnte ich hier ausharren, wie der Reisebericht empfahl. Während ich den Wind abwartete, streunte ich über die Insel und fand erneut Fußspuren – der Kerl mit der Plane war natürlich vor mir hier – diesmal auch von einer größeren Gruppe (nicht barfuß). Als der Wind nach zwei Stunden nachließ, fasste ich mir ein Herz und brach auf. Denn nichts ist schlimmer, als mit einer ungewissen Aussicht schlechtes Wetter rumzuwarten. Es blies mir fröhlich weiter ins Gesicht, die Wellen kamen und schließlich auch der Regen. Yippie-Yah-Yeah, Schwe****acke! Es wurde furchtbar kalt, auch wenn ich mich mit aller Kraft paddelte. Und warum eigentlich kam der Wind IMMER von vorn – ich habe doch hier eine fast 90°-Biegung genommen. Wie geht das? Ganz plötzlich ließ der Wind nach, mir wurde wieder warm und das Wasser war auch nicht mehr wehrig. „Das geht doch gar nicht!“ dachte ich mir. Egal. Pause auf dem Wasser. Schnell die Position mit dem GPS gecheckt – es war 17 Uhr und ich war vorbei an den schäbigen Stellen! Ich legte einen Teil der Kleidung wieder ab. Heute war alles dabei – ein Schwarzbär, Sturm und Regen, jetzt Sonnenschein und Windstille.

kurz nach Devil’s Elbow: Pause auf dem Wasser, das Wasser ist noch etwas wehrig.
Devil’s Elbow
Ungläubig: bin ich schon durch?

Ich ließ mich von der von Jon Pitkas angesagten starken Ströumg treiben und fand gegen 18.30 Uhr eine weitere wunderschöne Insel mit beeindruckend guten Zeltmöglichkeiten. Meine Ankünfte wurden immer früher (oder ich paddelte schneller?). Das nächste Dorf, Marshall, war nun nun noch ca. 12-15 Meilen weit weg. Langsam, ganz langsam wurde mir klar, dass ich es diesmal wirklich würde schaffen können. Was für ein Kontrast. So einen Riesenrespekt von Devils’s Elbow (zurecht), und kurz danach diese Hoffnung. „Kennst Du das, wenn Aufgeben keine Alternative ist?“ Es gibt schlechtere Gedanken, um in der Abendsonne auf einem Inselende zu sitzen und über das Wasser zu gucken.

Paddelbilanz: ca. 81 Meilen / 130 km

Belohnung für einen harten Tag

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