Halbzeit – Holy Cross und Paimut
Es kamen keine Bären am frühen Morgen. Ich quälte mich aus dem Zelt, während mein Körper über die Hauruck-Aktion von gestern Nacht jammerte. Abbauen, Einpacken, rübermachen nach Holy Cross. Nicht nur der Körper jammerte. Auch mein Kopf fragte sich, wie ich denn das wohl schaffen sollte, wenn die Etappen so blieben. Und das könnte ja grundsätzlich so sein, wenn es keine passenden Inseln gab und ich gleichzeitig damit rechnen musste, dass ich wegen des Wetters mal länger festsitze. Kurz: Ich fühlte mich richtig scheiße.
In Holy Cross angekommen, kaufte ich erstmal ein paar frische Äpfel, als Auswuchs der Zivilisation eine Pepsi (in dem Laden, wo man mich nachts weggescheucht hatte) und ließ mir sagen wo das Post Office sei. Dort wartete – hoffentlich – mein „general delivery“ Care-Paket, dass ich mir hierhin habe schicken lassen. Unterwegs wurde ich von einem älteren Ehepaar im Pick-Up mitgenommen. Ein Träumchen, den Holy Cross ist sehr weitläufig. Und als ich aus dem Post Office rausmarschierte – mit Paket – dauerte es auch nicht lange, bis mich jemand auf seiner Quad mitnahm wieder runter zum Fluss. Und jetzt? Es war noch viel zu früh fürs lospaddeln (es war doch wieder etwas windig). Und ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob ich das noch wollte! Ich latschte also wieder zur Stadt zum Tribal Office – vielleicht durfte ich ja dort ins Internet, Emails abrufen und einmal den Wetterbericht lesen? Leider nahm mich diesmal niemand mit. Man ließ mich im Tribal Office tatsächlich ins Internet und ich schöpfte Mut aus dem Wetterbericht. Nachdem ich ein Nickerchen auf den Sofas gemacht hatte, fragte ich, ob den jemand den Garrett kenne, der sei ja kürzlich hierher gezogen. Man kannte ihn tatsächlich und gab mir seine Nummer. Und Garrett war tatsächlich zu Hause! Er beschrieb mir grob, wo ich hin sollte und sammelte mich unterwegs ein. Bei Garrett konnte man noch besser ausruhen (Dosenbier gabs diesmal nicht), und seine Einschätzung der Wetterlage war auch positiv („four days of good weather, afterwards it’s getting bad“). Dennoch, mein Bauchgefühl quälte mich. In Gedanken malte ich mir aus, ob es helfen könnte, erneut ein bisschen zu schummeln… ich fragte Garrett, ob er sich – oder jemand anderes – vorstellen könne… Die Antwort war recht einfach und klar: „Och, nö.“ Und in dem Moment wurde es mir zu blöd. Himmel. Hier aufhören oder schummeln? Blödsinn. Immer schön einen Paddelschlag nach dem anderen. Immer nur bis zum nächsten Dorf denken und paddeln und dann weitersehen. Also entschied ich, aufzubrechen – Garrett brachte mich wieder runter zum Boot, wo ich noch flugs die Nahrung aus dem Paket neu verteilen und ein paar Sachen aussortieren musste – ich hatte recht großzügig geplant und wusste jetzt nicht so recht, was ich mit dem Zeug machen sollte. Garrett brauchte nichts und so fuhren wir zum Tribal Office, wo man die Sachen gerne für Bedürftige in Empfang nahm.
Ich paddelte mit dem Vorsatz, diesmal nicht so lange zu machen. Ein gutes Plätzchen, um mal etwas auszuruhen. Durch einen sehr ruhigen Abend, vorbei an langgezogenen Kurven und einigen Fishcamps (an einem winkte man mir schon von weitem zu, bloß nicht anzulegen) wollte ich bis Great Paimut Island paddeln (auf der USGS-Karte Russian Mission). An der stromaufwärts gelegenen Spitze sah es der Karte nach aus, als wäre das ein hervorragender Platz. Doch das stellte sich als unerreichbar heraus, da das Wasser schon viel früher sehr seicht wurde und ich fast auf Grund lief. Ich fühlte innerlich schon die Ohnmacht hochkommen – wo sollte ich hin, wenn es nicht schon wieder so ein Höllenritt werden sollte? Glücklicherweise schob sich eine vorgelagerte Sandbank in mein Blickfeld, die mir das gedankliche Brückenbauen etwas vereinfachte: „Die tut’s doch auch!“ Nach dem Anlanden versuchte ich das Risiko eine Überschwemmung in der Nacht abzuschätzen. Die Sandbank war dort, wo ich das Zelt aufbauen könnte, ca. einen dreiviertel Meter über der Wasserlinie. Das sollte reichen, besonders bei der Wettervorhersage. Um ein eventuelles Steigen des Wassers zumindest nachhalten zu können, steckte ich kleine Stöckchen Treibholz an einigen Stellen in die Wasserlinie der Sandbank. Wieder sehr erschöpft, aber auch sehr zufrieden kroch ich anschließend ins Zelt.
Paddelbilanz: ca. 20 Meilen / 30 km.

Flussrichtung des Yukon von oben (rechts) nach links. Gegenüber die Paimut Hills. Rechts nicht zu sehen: Paimut Island.

Mein Zelt und der Yukon (links), rechts Paimut Island

Dorthin fließt der Yukon, links letzter Zipfel von Paimut Island.
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