Im Kanu auf dem Yukon

Von den Quellseen bis zur Beringsee

Marshall – Pilot Station – Hill’s Island

Des Teufels Ellenbogen hatte mich buchstäblich ereilt. Der Körper schmerzte, ich spürte die Erschöpfung. Heute würde/musste ich an Marshall vorbeikommen. Das Dorf, bei dem Ken Chase aus Anvik mir geraten hatte, bei einem Marvin Parent vorbeizugucken.

Dazu gab es drei Varianten zu paddeln. Zwei Eingänge zum Wilson Creek Slough vor und entlang Arbor Island, und einen einfachen direkt nach Arbor Island. Bei letzterem fürchtete ich, nicht schnell genug das Ufer von Marshall zu erreichen und am Dorf vorbei getrieben zu werden. Ich entschied mich also für den zweiten Abzweig in den Wilson Creek slough, was sich allerdings als gar nicht so einfach entpuppte (der erste Abzweig mündete nämlich genau am zweiten Abzweig wieder in den Yukon). USGS-Karten, die ausgedruckten Satellitenbilder von google Maps und das GPS-Gerät zeigten allesamt nicht übereinstimmende Ergebnisse im Abgleich mit der Realität. Ich verließ mich auf meine Intuition – goldrichtig. Was folgte, war eine elendig lang dauernde, eintönige Strecke, da die Strömung hier spürbar versackte. Wenigstens konnte man den Wind hier nicht so stark spüren.

Jedesmal, wenn man sich einem der Dörfer am Fluss nähert, stellt sich einem die Frage „wann ist der richtige Zeitpunkt bzw. richtige Platz, um anzulanden?“. Nicht zu früh, dann muss man im Dorf zuviel zu Fuß unterwegs sein. Aber auch nicht direkt an einer „Hauptanlandestelle“, da ist man zu sehr im Weg und die Klamotten sind zu einfach sichtbar und zu leicht für jedermann zu erreichen. Diesmal war es einigermaßen einfach, denn ein mit einer Motorsäge hantierender Mann winkte mich zu sich heran. Wesley, so stellte er sich vor, schnitt Treibholz für sich zurecht. Er horchte mich aus, was ich denn schon alles gesehen hätte und referierte danach großzügig über Bären. Ob ich denn schon wisse, was ich mit dem Kanu nach dem Ende der Tour machen würde – er würde es gern kaufen danach… da ich es selbst noch nicht wusste, konnte ich ihm das natürlich nicht versprechen. Zumindest war hier bei ihm ein guter Ort, um das Boot zu parken. Ich holte mir noch schnell die Wegbeschreibung zu Marvin Parent (der offenbar einen der Supermärkte hier führte) und los ging es.

Marshall war ein sehr weitläufiges, aber auch schönes Dörfchen. Ich fragte mich in dem riesigen Laden durch, aber der Marvin hatte keine Zeit, ich wurde aber zu 19 Uhr zu ihm nach Hause eingeladen. So postierte ich mich vor dem Laden, breitet die Karten aus und überlegte mir, wie es denn weitergehen könne. Ca. 13/14 Meilen nach Marshall hatte ich auf den Satellitenbildern eine große Sandbank in der Mitte des Flusses ausgemacht, die wäre doch hervorragend geeignet, dachte ich mir. Allerdings gab es diese „Insel“ nicht auf de USGS-Karten. Es dauerte nicht lange, da wurde ich angesprochen, was ich denn vorhätte, ob ich Hilfe gebrauchen könne… (Merke: sich vor einem Lebensmittelladen Karten-studierend in Paddelklamotten zu postieren, zieht hilfsbereite Menschen geradezu an.) Schon hatte ich die zweite Einladung für den Abend – und ein Abendessen. Jack George lud mich zu sich und seiner Familie ein. Eine Beschreibung, dass ich doch am besten um Ufer entlang dorthin paddle, gab es gleich dazu.

Jack
Jack meinte, ich könne ja im Anschluss den Marvin besuchen und sollte danach unbedingt nochmal bei ihm vorbeikommen. Daher ging ich zunächste zu Fuß – dann würde ich später besser einschätzen können, wo ich wieder anlanden musste. Jack war so etwas wie eine Mischung aus Feuerwehrmann und Seenotretter. Letzteres aber in der Regel eher „zu spät“. Die meisten, die in den Yukon fallen, tauchen nicht wieder auf und werden dann von Jack und Kollegen in langen Suchen und mit einem Schleppseil am Grund des Flusses meistens irgendwann gefunden. Er sei immer wieder überrascht, wie viele nicht richtig schwimmen könnten und/oder ohne Schwimmweste rausfahren mit Ihren Motorbooten. Hinzu kommt, dass sich die Sedimente des Yukonwassers blitzschnell in den Fasern der Kleidung (besonders in den Taschen von Hosen und Hemden) festsetzten und so die Kleidung unglaublich schwer machten. Man unterschätze dies offenbar – neben der Kälte des Wassers. Zu schöneren Themen: bei Jack und seiner Familie gab es Hühnchen und Reis. Ich dachte, ich wäre im Himmel, so lecker schmeckte es. Zum Abschluss bekam ich nach dem Familienfoto noch einen Beutel voll mit getrockneten Lachsstreifen, den ich nach einigen erfolglosen, dankend-höflichen gemeinten Ablehnungsversuchen dann doch annahm. (Ich würde nie wieder so etwas ablehnen – viel zu gut und ein Ablehnen ist unhöflich!) Schlussendlich wurde mir erklärt, warum ich nach Marvin noch einmal hierher kommen sollte, denn nachdem ich Jack ja schon vorm Supermarkt über meinen Plan, die nicht auf den USGS-Karten verzeichnete große Sandbank als Lagerplatz zu nehmen aufgeklärt hatte, wollte er mich abends „noch ein Stück mitnehmen“ in bzw. auf seinem Motorboot. Es solle schließlich später noch regnen und er habe flussabwärts noch eine Fischerhütte, zu der er wollte.

Marvin
Weiter ging es der losen Beschreibungen nach zu Marvin Parent. Bei Marvin gab es WLAN – also Wetterbericht und Emails. Und ungewollt 96 Whatsapp-Nachrichten, bei denen ich mich hütete, die Nase reinzustecken. Marvin und Ken Chase waren offenbar „von früher“ bekannt, genaueres war ihm aber nicht so richtig zu entlocken. Wir plauderten noch über dies und jenes (es gab traumhaften Kaffee), bevor ich mich wieder zum Strand und per Boot zu Jack George aufmachte.

(Wie ich später herausfand, sind sowohl Marvin als auch Jack in Folge 13 der Staffel 4 der Serie „Alaska State Troopers“ zu sehen, ca. ab Minute 33.)

„Schummeln“
Bei Jack angekommen, versuchten wir zunächst, das Boot angebunden hinter Jacks Skiff herzuziehen. Aus hydrodynamischen Gründen, die ich bis heute noch nicht ganz verstanden habe (es hat vermutlich damit zu tun, dass der Bootstyp Wenonah Prospector (kein Kiel) a priori keinen ganz vorn zentrierten Anbindepunkt hat, evtl. auch mit dem nach vorn verlagerten Schwerpunkt wenn niemand im Boot sitzt), kann mann ein Kanu aber nicht „geradewegs“ im Wasser ziehen. Es schlingert links und wieder rechts und je schneller man „fährt“, desto gefährlich näher kommen die Wendepunkte eine Kenterung – wir gaben es recht schnell auf und ich setzte ab dann die Reise wieder mit Strömung und Muskelkraft fort. Jack verschwand winkend in einem Seitenarm und überlies mich dem Yukon. Es dauerte nicht lange, bis der angekündigte Regen einsetzte. Da die Paddelhose mittlerweile zur Everyday-Pinte aufgestiegen war, hampelte ich nur mit der Regenjacke – gerade noch rechtzeitig. Es schüttete buchstäblich aus Eimern, wie ich es noch nie erlebt habe. Ich fing an, das Boot mit dem aufgeschnitteten Milch-Kanister leerzuschöpfen und hatte schon Sorge, dass ich nicht schnell genug sei, aber nach ca. einer halben Stunde war der Spuk vorüber. Die Wolken dunkelten jedoch immer noch alles ab. Sowohl GPS als auch meine manuell korrigierte USGS-Karte ließen mich im dunklen „da vorne müsste doch die Sandbank kommen“ schlussfolgern. Aber es tat sich nichts. Jacks Beschreibung nach müsste ich auch erst nach links schwenken, bevor ich etwas zu Gesicht bekäme. Das erste mal auf dieser Tour holte ich das Fernglas heraus. Mühsam suchte ich im Restlicht den Horizont ab – nichts. Nervös paddelte ich weiter, es wurde dunkler und dunkler, doch schließlich erschien am Horizont ein hoch aufragendes Etwas im Bild. Treibholz. Die Sandbank wird doch jetzt wohl nicht dank des Schauers überspült worden sein? Nein, war sie nicht. Ich konnte nach einiger Zeit beruhigt anlanden – eine riesige Sandbank ohne Mücken erwartete mich. Ein absoluter Traum. Zwar gab es hier und da ein paar Pfützen und ich musste das Boot zur Sicherheit weit an Land aus dem Wasser holen, aber es war wirklich unglaublich schö hier. Weit und breit Sand und beste Zeltmöglichkeiten – ich schlug meines natürlich an dem riesigen Baumstamm auf, den ich aus der Ferne gefunden hatte. Ich konnte wirklich beruhigt schlafen gehen.

Paddelbilanz: ca. 14 Meilen bis Marshall, ca. 17,5 Meilen bis zur Sandbank (wieviel geschummelt unbekannt)


Ich schlief schlecht in der Nacht. Am Morgen rüttelten immer wieder leichte Böen am Zelt. Ich kroch heraus und baute pröddelnd-frühstückend das Lager ab. Offenbar hatte ich nicht so richtig Bock. Und der Wind kam diesmal als Rückemwind für heute aus Ost-Südost. Jon Pitkas aus Russian Mission hate mir noch eine Abkürzung des langgezogenen Bogens vor Pilot Station gezeigt, und mit Jack George hatte ich das noch einmal besprochen. An einer Stelle zweigt vom Yukon ein kleiner Seitenkanal ab, der direkt in den Atchuelinguk (orig. Chuilanuk) mündet. Von dort würde ich sehr einfach auf die Seite kommen, an der Pilot Station liegt – ohne die riesiege Wasserfläche queren zu müssen, in der von rechts gleichzeitig der Atchuelinguk einmündet. Bei der Windlage erinnerte mich das alles zu sehr an den ersten Versuch in den Yukon Flats, als auch von rechts die Wassermassen des Porcupines kamen und mit dem Wind zusammen ein allerfeinstes Arrangement abgaben…

Wer glaubt, dass Rückenwind alles einfacher beim Paddeln macht, irrt. Natürlich kam er nicht nur von hinten, sondern meist schräg von der Seite. Es blies und blies, das Kanu konnte ich nur mit höchstem Kraftaufwand auf Kurs halten, bis es mir nach ca. 5 Meilen zu blöd und anstrengend wurde. Anlanden. Hurra, das ganze Ufer voller frischer Bärenspuren. Riesiege Bärenspuren. Ich baute den Shelter auf, legte die Plane darunter und versuchte den Wind abzuwarten. Pennen konnte ich angesichts der Bärenspuren nur schlecht, und der Windschutz hatte seinen Preis: ich konnte nicht alles um mich herum sehen. Nach ca. zwei Stunden flaute es endlich – etwas – ab und ich machte wieder los. Angenervt vom Wind wechselte ich auf die Lee-Seite des Ufers, um dann nach einiger Zeit zu erkennen und zu befürchten, dass ich den Eingang zur Abkürzung möglicherweise verpasst hatte. Also wieder rüber. Glück gehabt: Der Eingang zu diesem natürlichen Stichkanal lag viel weiter nördlich als vorher mit Jon und George diskutiert. Glückselig fuhr ich ein und… beinahe-Windstille erwartete mich. Die Sonne brannte, ich musste Sonnebrille hervorholen und Kleidung ablegen und der Wind war nur noch in den Pappeln und Weiden zu hören. Die Raben glucksten und bra-akten unablässig aus den Baumwipfeln. Pause. Herrlich!

Nach der verdienten Pause ging es raus auf den Atchuelinguk, der nur kurz danach in den Yukon einmündet. Wie immer an den Einmündungen verwirbeln sich die Strömungen und es gibt kabbeliges Wasser, besonders wenn es windig ist – hier und jetzt war es aber nur etwas lästig. Schnell paddelte ich an den ersten Bretterbuden von Pilot Station vorbei. Als ich kurz anlandete, um nach einer guten Ein-/Aussatzstelle zu fragen, wollte man mir gleich furchtbar schöne Schnitzereien verkaufen. Ich beschloss, doch noch ein wenig weiterzupaddeln. Der „Strand“ von Pilot Station ist sehr weitläufig, und überall heizen die Jugendlichen mit Ihren Quads rum. „Wer sagt mir denn, dass die mich im Dunklen im Zelt sehen?“, fragte ich mich, als mir schon eine Traube Kinder entgegenrannte. „Ohje, das kann ja was werden.“ Ich nahm schnell die wichtigen Sachen unauffällig an mich, andere versteckt ich im Boot und schloss dann die Persenningteile, dann marschierte ich nach dem Beantworten von ein paar Fragen Richtung Dorf. Ich schnappte mir im Store nur eine Cola und einen Schokoriegel zum Sofort-Vertilgen und kaufte ein paar neue Äpfel, dann zog ich wieder Leine. Das Dorf war echt schön, aber hier war eindeutig zu viel los am Strand. Bevor ich hier noch rumsuchete für einen ruhigeren Platz, paddelte ich noch drei Meilen weiter zu Hill’s Island, wo ich auch erst nach einigen Versuchen eine gute Stelle fand (hier war zwar Ruhe, aber das Ufer war unfassbar matschig – kaum eine Möglichkeit, ordentlich anzulanden. Ich knabberte nur noch an einem Fischstreifen von George und fiel todmüde auf den Schlafsack. Sogar Fotos vergaß ich. Nur eines, dass ich aus dem Zelt heraus schoss, weil ich schon zu müde war 🙂

Paddelbilanz: 15 Meilen bis zum Eingang der Abkürzung, 12,5 weitere Meilen bis Pilot Station (ohne Abkürzung), 3 Meilen bis Hill’s Island.

Paddelbilanz insgesamt: maximal 62 Meilen (ohne Abkürzung und „Schummeln“), also maximal 99 km.

Blick auf Hill’s Island, flussabwärts

Devil’s Elbow

Nach der kurzen Aufregung um eine Zeltmöglichkeit gegenüber Paimut Island (USGS-Karte Russian Mission) verlief die Nacht wunderbar ruhig, und am Morgen war es nahezu windstill. Der Wasserstand war sogar gesunken über Nacht. Ohne auf die Uhr zu gucken paddelte ich los und machte nach ca. 13 Meilen kurz Pause auf eine Insel. Der Strand war sehr flach, ich zog das Boot nicht komplett raus, sondern so, dass es „eigentlich nicht wegschwimmen kann“ und nahm das Bootsseil mit zu mir: Ich breitete eine Plane aus und legte mich stumpf drauf, das Bootsseil an meinem Gürtel festgebunden. Während ich in den blauen Himmel guckte, schlief ich ein. Als ich aufwachte, war das Boot… natürlich noch an Ort und Stelle. Ich verleibte mir einen Müsliriegel ein, trank einen Schluck Kaffee aus der Thermoskanne und taperte ein wenig über den Strand. Da waren frische Fußspuren – barfuß! Und eine rinnenartige Schleifspur parallel dazu. Hier ist jemand mit einem Kajak unterwegs und hat es hier barfuß hinter sich her über den Strand gezogen, sherlockte ich in mich hinein. Anders konnte ich mir dieses Arrangement an Spuren jedenfalls nicht erklären, so absurd das auch wirkte. Nachdem sich Rinne und Fußspuren ein wenig Richtung Ufer verliefen, blickte ich mich in einem leicht paranoiden Anfall zu meinem Boot um – es war noch da. Dennoch begann ich ein kleines bisschen an meinem Geisteszustand zu zweifeln – barfuß… und das mit den Mücken. Obwohl… das war ja schon lange nicht mehr so schlimm hier. Ich beschloss, bei der nächsten guten Gelegenheit das Nachtlager zu machen und keine Höllenritte mehr zu veranstalten.

Nach der eine-Ewigkeit-dauernden Biegung bei Pearl Island mit wehrigem Wasser machte ich gegen 21.30 Uhr abends noch einmal Pause auf einer Mini-Insel gegenüber dem Cottonwood Point, in Windstille und einer grandiosen Atmospähre, als die Sonne ganz langsam neben dem Baldhead Mountain (fast) unterging. Die insel war eigentlich nicht weit genug weg vom Festland um für Bären zu weit weg zu sein, aber ich entschied zu bleiben. Es war zu schön hier. Ich nahm ein Bad im a***kalten Wasser und schlug mir den Wanst voll, dann kroch ich ins Zelt, das ich auf dem höchsten Punkt der Insel (satte eineinhalb Meter ü.N.N.) aufgebaut hatte.

Insel am Cottonwood Point. Im Hintergrund: Baldhead Mountain

Die Nacht war noch ruhiger als die vorherige und der Wasserstand sank weiter, Bärenbesuch hatte ich nicht. Ich wollte mir heute die endlosen Biegungen sparen und wechselte dafür die Uferseite direkt nach dem Start, die Gelegenheit war gut. Die Sonne brannte unerbittlich auf das Wasser. Direkt vor Russian Mission querte ich den Fluß abermals und erreichte das Dorf gegen 16.30 Uhr nachmittags. Es gab keine richtig gute Stelle zum Anlegen und auch keine gute Zeltmöglichkeit in Nähe des Strandes oder gar am Strand, die nicht potentiell Gefahr lief, zufällig einer Quad im Weg zu sein – es war Freitag (20.07.) und die Dorfjugend hatt später am Abend bestimmt Langeweile. Nachdem ich mir in einem der Stores frische Äpfel gekauft und eine kalte Pepsi gegönnt hatte, besuchte ich das Tribal/City Office und fragte ich nach Internet und dem Wetterbericht. Man ließ mich schnell machen und sagte mir, ich sollte mich doch noch an einen Jon Pitkas wenden, wenn ich noch ein paar Infos über den Fluss bräuchte. Ich traf ihn bei Freischneiderarbeiten und wir gingen wieder zum Tribal Office, wo er mir eine Abkürzung nach Pilot Station verriet und auf der Karte markierte. Einen minimalistischen Paddler (nur Plane und Kajak) habe man auch gesehen. Und mit Nachdruck erklärte er mir, doch beim Devil’s Elbow, einer harten Flussbiegung, an der der Yukon von der aktuellen groben Fließrichtung West-Südwest auf Nordwest schwenkt, vorsichtig zu sein. Die Strömung ist stark und das Mini-Klima (Windrichtung) kippt an der Stelle auch häufig. Das machte mir nicht unbedingt gute Laune, denn der einzige brauchbare Reisebericht verlautete mit „This is a nasty place to get caught in a storm. The bending river boils up strange currents and there are few places to pull to shore along the bluffs. […] Be very cautious paddling through here: if the weather seems even slightly bad, just pull over and camp until it blows past.“ nichts gutes. Zusammen mit dem Wetterbericht (heute noch gut, morgen Regen und Wind) wurde ich etwas unruhig. Ich paddelte schnelle weiter, auch weil an meinem Boot sich bereits eine Traube aus neugierigen Kindern eingefunden hatte – hier würde ich niemals Ruhe bekommen 🙂 Ich paddelte noch ungefähr 10 Meilen weiter bis zu einer kleinen Insel gegenüber von Grand Island, die ich um ungefähr 20 Uhr erreichte. Diesmal baute ich noch die Strandmuschel mit auf, falls es am Morgen regnen sollte – dann konnte ich wenigstens trocken frühstücken. (Im Vergleich zu dem Kerl mit der Plane kam ich mir vor wie das andere Extrem und musste ein wenig über mich und meinen ganzen Plunder lachen.) Mit der Aussicht auf schlechtes Wetter und auf Devil’s Elbow, der noch ca. 12 bis 15 Meilen entfernt war, genehmigte ich mir ein fürstliches Abendessen im letzten Sonnenschein (gebratener Reis mit Rührei) und schlief sehr schlecht zu dem in der Nacht beginnenden Regen.

Ein paar Meilen unter Russian Mission
gefühlt: Henkersmahlzeit

Als ich aufwachte, war der Schlafsack von außen nass. Aber nur Kondenswasser. Ich aß wenig und baute schnell alles ab, als ich dunkle Wolken aufzeiehen sah. Es blieb aber alles trocken. Kurz nach dem Ende von Grand Island sah ich den wohl größten Schwarzbären meiner Outdoorkarriere – gut, dass ich dem nicht direkt begegnet bin. Danach frischte es auf und es fing an zu nieseln. Na prima, „a hell’s night lässt grüßen“ machte ich mir ins Hemd und beschloss, kurz vor Devil’s Elbow noch einmal Pause auf Elsie Island zu machen. Ich querte die (viel größer als die Karte zu vermuten ließ) freie Passage auf dem Wasser und kämpfte mit dem Wind. Die Insel war ein guter Rastplatz – zur Not konnte ich hier ausharren, wie der Reisebericht empfahl. Während ich den Wind abwartete, streunte ich über die Insel und fand erneut Fußspuren – der Kerl mit der Plane war natürlich vor mir hier – diesmal auch von einer größeren Gruppe (nicht barfuß). Als der Wind nach zwei Stunden nachließ, fasste ich mir ein Herz und brach auf. Denn nichts ist schlimmer, als mit einer ungewissen Aussicht schlechtes Wetter rumzuwarten. Es blies mir fröhlich weiter ins Gesicht, die Wellen kamen und schließlich auch der Regen. Yippie-Yah-Yeah, Schwe****acke! Es wurde furchtbar kalt, auch wenn ich mich mit aller Kraft paddelte. Und warum eigentlich kam der Wind IMMER von vorn – ich habe doch hier eine fast 90°-Biegung genommen. Wie geht das? Ganz plötzlich ließ der Wind nach, mir wurde wieder warm und das Wasser war auch nicht mehr wehrig. „Das geht doch gar nicht!“ dachte ich mir. Egal. Pause auf dem Wasser. Schnell die Position mit dem GPS gecheckt – es war 17 Uhr und ich war vorbei an den schäbigen Stellen! Ich legte einen Teil der Kleidung wieder ab. Heute war alles dabei – ein Schwarzbär, Sturm und Regen, jetzt Sonnenschein und Windstille.

kurz nach Devil’s Elbow: Pause auf dem Wasser, das Wasser ist noch etwas wehrig.
Devil’s Elbow
Ungläubig: bin ich schon durch?

Ich ließ mich von der von Jon Pitkas angesagten starken Ströumg treiben und fand gegen 18.30 Uhr eine weitere wunderschöne Insel mit beeindruckend guten Zeltmöglichkeiten. Meine Ankünfte wurden immer früher (oder ich paddelte schneller?). Das nächste Dorf, Marshall, war nun nun noch ca. 12-15 Meilen weit weg. Langsam, ganz langsam wurde mir klar, dass ich es diesmal wirklich würde schaffen können. Was für ein Kontrast. So einen Riesenrespekt von Devils’s Elbow (zurecht), und kurz danach diese Hoffnung. „Kennst Du das, wenn Aufgeben keine Alternative ist?“ Es gibt schlechtere Gedanken, um in der Abendsonne auf einem Inselende zu sitzen und über das Wasser zu gucken.

Paddelbilanz: ca. 82 Meilen / 132 km

Belohnung für einen harten Tag

Halbzeit – Holy Cross und Paimut

Es kamen keine Bären am frühen Morgen. Ich quälte mich aus dem Zelt, während mein Körper über die Hauruck-Aktion von gestern Nacht jammerte. Abbauen, Einpacken, rübermachen nach Holy Cross. Nicht nur der Körper jammerte. Auch mein Kopf fragte sich, wie ich denn das wohl schaffen sollte, wenn die Etappen so blieben. Und das könnte ja grundsätzlich so sein, wenn es keine passenden Inseln gab und ich gleichzeitig damit rechnen musste, dass ich wegen des Wetters mal länger festsitze. Kurz: Ich fühlte mich richtig scheiße.

In Holy Cross angekommen, kaufte ich erstmal ein paar frische Äpfel, als Auswuchs der Zivilisation eine Pepsi (in dem Laden, wo man mich nachts weggescheucht hatte) und ließ mir sagen wo das Post Office sei. Dort wartete – hoffentlich – mein „general delivery“ Care-Paket, dass ich mir hierhin habe schicken lassen. Unterwegs wurde ich von einem älteren Ehepaar im Pick-Up mitgenommen. Ein Träumchen, den Holy Cross ist sehr weitläufig. Und als ich aus dem Post Office rausmarschierte – mit Paket – dauerte es auch nicht lange, bis mich jemand auf seiner Quad mitnahm wieder runter zum Fluss. Und jetzt?  Es war noch viel zu früh fürs lospaddeln (es war doch wieder etwas windig). Und ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob ich das noch wollte! Ich latschte also wieder zur Stadt zum Tribal Office – vielleicht durfte ich ja dort ins Internet, Emails abrufen und einmal den Wetterbericht lesen? Leider nahm mich diesmal niemand mit. Man ließ mich im Tribal Office tatsächlich ins Internet und ich schöpfte Mut aus dem Wetterbericht. Nachdem ich ein Nickerchen auf den Sofas gemacht hatte, fragte ich, ob den jemand den Garrett kenne, der sei ja kürzlich hierher gezogen. Man kannte ihn tatsächlich und gab mir seine Nummer. Und Garrett war tatsächlich zu Hause! Er beschrieb mir grob, wo ich hin sollte und sammelte mich unterwegs ein. Bei Garrett konnte man noch besser ausruhen (Dosenbier gabs diesmal nicht), und seine Einschätzung der Wetterlage war auch positiv („four days of good weather, afterwards it’s getting bad“). Dennoch, mein Bauchgefühl quälte mich. In Gedanken malte ich mir aus, ob es helfen könnte, erneut ein bisschen zu schummeln… ich fragte Garrett, ob er sich – oder jemand anderes – vorstellen könne… Die Antwort war recht einfach und klar: „Och, nö.“ Und in dem Moment wurde es mir zu blöd. Himmel. Hier aufhören oder schummeln? Blödsinn. Immer schön einen Paddelschlag nach dem anderen. Immer nur bis zum nächsten Dorf denken und paddeln und dann weitersehen. Also entschied ich, aufzubrechen – Garrett brachte mich wieder runter zum Boot, wo ich noch flugs die Nahrung aus dem Paket neu verteilen und ein paar Sachen aussortieren musste – ich hatte recht großzügig geplant und wusste jetzt nicht so recht, was ich mit dem Zeug machen sollte. Garrett brauchte nichts und so fuhren wir zum Tribal Office, wo man die Sachen gerne für Bedürftige in Empfang nahm.

Ich paddelte mit dem Vorsatz, diesmal nicht so lange zu machen. Ein gutes Plätzchen, um mal etwas auszuruhen. Durch einen sehr ruhigen Abend, vorbei an langgezogenen Kurven und einigen Fishcamps (an einem winkte man mir schon von weitem zu, bloß nicht anzulegen) wollte ich bis Great Paimut Island paddeln (auf der USGS-Karte Russian Mission). An der stromaufwärts gelegenen Spitze sah es der Karte nach aus, als wäre das ein hervorragender Platz. Doch das stellte sich als unerreichbar heraus, da das Wasser schon viel früher sehr seicht wurde und ich fast auf Grund lief. Ich fühlte innerlich schon die Ohnmacht hochkommen – wo sollte ich hin, wenn es nicht schon wieder so ein Höllenritt werden sollte? Glücklicherweise schob sich eine vorgelagerte Sandbank in mein Blickfeld, die mir das gedankliche Brückenbauen etwas vereinfachte: „Die tut’s doch auch!“ Nach dem Anlanden versuchte ich das Risiko eine Überschwemmung in der Nacht abzuschätzen. Die Sandbank war dort, wo ich das Zelt aufbauen könnte, ca. einen dreiviertel Meter über der Wasserlinie. Das sollte reichen, besonders bei der Wettervorhersage. Um ein eventuelles Steigen des Wassers zumindest nachhalten zu können, steckte ich kleine Stöckchen Treibholz an einigen Stellen in die Wasserlinie der Sandbank. Wieder sehr erschöpft, aber auch sehr zufrieden kroch ich anschließend ins Zelt.

Paddelbilanz: ca. 20 Meilen / 30 km.

Flussrichtung des Yukon von oben (rechts) nach links. Gegenüber die Paimut Hills. Rechts nicht zu sehen: Paimut Island.

Mein Zelt und der Yukon (links), rechts Paimut Island

Dorthin fließt der Yukon, links letzter Zipfel von Paimut Island.

Bilderstrecke zu „A day in paradise and forty miles““

A day in paradise and forty miles

Es gab zwar noch ein paar Schauer in der Nacht, aber das wars dann. Der Morgen war wunderschön und Sonnenschein gab es auch. Die Auswirkungen des Höllenritts der letzten Nacht spürte ich noch in allen Muskeln und ich zog kurz Bilanz: ca. 205 Meilen standen zu Buche (zwei Fünftel der Strecke, die kleine Schummelei vor Kaltag nicht abgezogen) und hatte genau 7 Paddeltage/-nächte hinter mir. Es wäre vielleicht Zeit für einen Pausentag. Am liebsten hätte ich aber gern eine Dusche und wollte Wäsche waschen. Und nicht wieder so einen Reinfall wie in Grayling erleben. So schlurfte ich nach einem Müsli-Frühstück los, um erstmal die Lage in Anvik auszukundschaften.

Ken

Nachdem ich an dem alten Hotel vorbei nicht wirklich fündig wurde, ging ich wieder zum Zelt zurück und entdeckte in der Nähe ein paar Arbeiter, die mit Motorsägen und Freischneider zugange waren. Die Arbeiter, die Hälfte davon Jugendliche, schickten mich weiter zu Ken, der nicht weit weg vor einer größeren Blockhütte stand und sich mit jemandem unterhielt. Ken klärte mich kurz auf, wo ich hinzugehen hätte und lud mich für später wieder zu sich ein. Jetzt müsse er die Jugendlichen aufpassen, damit sie mit Motorsäge und Freischneider keinen Unsinn trieben. Ich musste zurück am Hotel vorbei und den doch recht weiten Fußweg „hinein“ ins Dorf nehmen. Wow, Anvik, mit gerade knapp 100 Einwohnern leistete sich gleich zwei Stores. Grayling hatte keinen. Gerechterweise kaufte ich im einen Store ein paar Äpfel, im anderen gab es einen größeren Tisch, an dem ich mich mit frischem Kaffee niederlassen und Pause machen durfte. Ein Nickerchen später machte ich mich dann auf zur Washeteria, musste aber erst im Rathaus (!) Dollers gegen Quarters tauschen. Gottseidank war da auch jemand drin 🙂 Herrlich so eine Dusche mit warmem Wasser, und sauber – kein sedimentiertes, braunes, kaltes Yukon-Wasser… So erfrischt machte ich mich wieder auf zu Ken. Ken, ca. Mitte/Ende 60, hat früher für das Alaska Fish and Game Department (grob übersetzt: Umwelt-, Jagd- und Fischereiministerium des Bundestaats Alaska) gearbeitet, war/ist Buschpilot und sieht jetzt in seinem Heimatort Anvik ein wenig nach dem Rechten – was hier im Klartext bedeutet, dass er den Jugendlichen fleißig Arbeitsaufträge gibt und sie beaufsichtigt. „Anvik is paradise.“, sinniert er vor sich hin. „Truly. Y’know, I started in Grayling last night…“ fing ich an, aber er unterbrach mich. „Grayling… uhm. Grayling is a crazy Village. Y’know, Anvik and Grayling, they have nicknames… Tombstone and Dodge. Now tell me which one is which one?“ Ich gucke wohl etwas zu lange aus dem Fenster, als Ken anfängt zu lachen. Ach, ich sollte wirklich antworten? Rückblickend wenig überraschend verknüpfe ich die Worte „Schießerei“ und „Tombstone“ und frage „Dodge is Anvik?“ – „Tough guy. Haha. Y’know, you were truly lucky last night with that guys down at the river bank. During weekend, sometimes people drink from Friday to Sunday in Tombstone. Sorry, in Grayling. And then sometimes nothing is better against boredness than a mocking a stranger. But, now you are here. What can I do for you?“. Während ich noch weiterhin ein wenig dösig und verschreckt aus dem Fenster glotze, weil ich über die Situation bei dem Typen mit den zugeschwollenen Augen, über die Fahrt auf dem Quad, die Schüsse und die betrunkenen Typen am Strand und im Tribal Office in Grayling nachdenke, schicke ich drei Stoßgebete in den alaskanischen Himmel. Vielleicht sollte ich langsam doch mal auf mich aufpassen. Schließlich sage ich „Well, perhaps you could Show me some good camping spots along the banks downriver.“ „Wow. Perfekte Überleitung!“, schüttele ich innerlich den Kopf über mich, aber ich habe keine Lust mehr über Grayling zu sprechen. Ken ist der erste, der einer Landkarte ernsthaftes Interesse schenkt. Normalerweise frage ich Einheimische schon gar nicht mehr, die kennen Ihren Fluss ja. Sie brauchen dafür keine Karte, sie wachsen ja von klein auf damit auf. Und weil sie nie eine Karte brauchen, können sie jemand anderem mit/auf einer Karte meist auch nicht weiterhelfen. Ken gibt mir noch einen Kontakt mit für Marshall, wo ich mich unbedingt melden solle. Am Ende erzählt er mir noch viel von der Fliegerei, dass er oben am Flughafen ein eigenes Flugzeug hat und von der Jagd. Ob denn die ca. 15 Büchsen, die bei ihm in einer Ecke stehen, kein Problem seien. Nein, hier passiere nichts. Ich erzähle ihm noch über die (in einem so dicht besiedelten Land wie Deutschland notwendigen) Auflagen in Deutschland, worüber er nur die Stirn runzeln kann. „Life ist better in Alaska, hm?“

Abends sitze ich am Zelt (ich mache übrigens kein Feuer in der Blechtonne, falls jemand das Foto falsch interpretiert) und beglückwünsche mich innerlich zum Pausentag. Alles richtig gemacht. Doch da röhrt auch schon eine Quad herbei und unterbricht meine Selbstbeweihräucherung. Tonya, Anfang zwanzig, recht füllig und verständlicherweise etwas gelangweilt vom Dorfleben, scheint der komische Kauz mit dem Zelt an der Blechtonne wohl gerade die rechte Ablenkung zu sein. Am Ende eines kurzen Verhörs lädt sie mich zu sich nach Hause ein und braust in einer Staubwolke davon. Nur gesagt, wo ich hinkommen sollte, hat sie nicht. Prima. Ne bessere Ausrede gibt’s wohl nicht. Beruhigt krieche ich ins Zelt. Doch… weit gefehlt! zwei Stunden später röhrt es wieder. Ob ich denn schon schlafe, brüllt sie von der laufenden Quad aus Richtung Zelt. Ich weiß tatsächlich nicht, ob ich lachen oder weinen soll und lege eine Schallplatte von I.M. Müde auf. Ihr Freund möchte, dass ich mitkomme. Sie hätten einen großen Fernseher. Während ich mich frage, was denn das wohl werden soll und warum ihr Freund denn dann nicht selbst kommt, zitiere betont leidend die Schallplatte von I.M. Müde. Fast tut sie mir etwas leid, als sie irgendwann aufgibt und röhrend davon braust. Hoffentlich hat sie keine Knarre…

Tags drauf versuche ich noch, meine Wasserkanister an der Washeteria aufzufrischen, aber ich komme nicht weit. Ein älterer kleiner Herr, der etwas versetzt neben Ken in einer Hütte wohnt und nicht weit weg von meinem Unterstand noch seine Fischräucherhütte benutzt, überholt mich auf dem Weg und überredet mich, doch mit ihm zur Quelle zu fahren. Die sei weiter weg unten am Fluss, aber das Wasser sei gut und frisch – nicht aufbereitet wie das an der Washeteria. Ich denke kurz über „besser auf mich selbst aufpassen“ nach, aber er ist definitiv nicht betrunken. Und so brausen wir – freilich ohne Helm – durchs Dorf, dann entlang eines höllisch steilen „Shortcuts“ hinauf auf die Rollpiste des Flughafens, links geschaut, rechts geschaut (kein Flieger im Anflug), und ab dafür. Der Weg durch den Wald ist ähnlich abenteuerlich – das Wasser an der Quelle aber tatsächlich wunderbar. Alles richtig gemacht. Wieder im Dorf besuche ich Ken noch einmal, mache noch ein Nickerchen und paddle gegen sieben Uhr abends los, als der wenige Wind des Tages fast schon ganz abgeflaut hat.

Run to Holy Cross

Das Paddeln geht zunächst gut von der Hand. Das Wetter ist gut, die Sonne scheint noch ein Weilchen und es ist windstill. Doch wird mir schnell klar, dass es auf der Strecke ab ca. der Hälfte der Distanz zu Holy Cross (d.h. noch 20 Meilen) nicht viele gute Zeltmöglichkeiten gibt. Frohen Mutes sage ich mir „Och, ein Tag Pause, da kannste ja jetzt wieder ranklotzen, zur Not bis Holy Cross“, und paddle weiter. Die möglichen Inselgruppierungen haben leider allesamt steile Abbruchkanten und so muss ich sie passieren lassen. Schließlich macht es keinen Sinn mehr, nicht bis nach Holy Corss zu paddeln und ich beiße die Zähne zusammen, bis ich den Slough nach Holy Cross erreiche. Hier versackt jedoch plötzlich die Strömung und kurz danach habe ich auch nur noch eine Paddelblattiefe Wasser unterm Boot. Häufig setze ich mit den Paddelblättern auf und schließlich bleibe ich mit dem Boot stecken. Super. Ich bin furchtbar erschöpft und Holy Cross ist noch ca. 5 Meilen entfernt. Ich spüre, wie mein Ärger hochkocht und schiebe das Boot wieder los. Ich versuche, das Wasser nach bestem Wissen zu lesen und komme im Schneckentempo weiter, ohne erneut aufzusetzen. Ich erreiche eine schlammige Rampe, die ich auf Grund der Boote und der Autospuren versuchsweise als Anlagestelle von Holy Cross annehme. Es ist halb fünf morgens und ich bin müde und genervt. Das Anlegen gestaltet sich schwierig, denn alles, wirklich alles, ist mit versackendem Schlamm „ausgelegt“, und auch ein annehmbarer Zeltplatz ist hier unten an der Rampe nicht zu finden. Und so gehe ich erstmal „in die Stadt“, die allerdings ca. einen Kilometer entfernt ist. Das erste, was mir begegnet, ist ein Fuchs. Abgemagert, so dass ich schon an Tollwut denke, aber der hier hat sich einfach nur zu sehr an das Leben in der Nähe von Menschen gewöhnt und die Mülltonnen scheinen leer? Ich passiere die Schule und einen Grocery Store, bei dem nebenan noch Licht brennt. Ich klopfe, werde aber mit wüsten Gesten verscheucht. Naja, was habe ich auch erwartet um diese Uhrzeit? Völlig frustriert sortiere ich nochmal meine Optionen und gehe wieder zum Boot. Ich paddle einfach auf die andere Seite des Sloughs, dort waren ein paar Fischerhütten. Dort soll ich doch wohl einen Zeltplatz finden? Endlich, um sechs Uhr morgens, liege ich im Schlafsack. Ob Bären kommen könnten – die Insel gegenüber von Holy Cross sind nicht allzu weit weg vom Festland und hier wird immer Fisch zerlegt – ist mir jetzt gerade total egal.

Paddelbilanz: 39 Meilen / knapp 62 km.

Shootout and a hell’s night

In Grayling fand ich einen Unterstand oben am Steilhang. Super, da habe ich ja schon mein Über-Zelt und brauche mir keine Sorgen machen, dass ich morgens ein nasses Zelt einpacken muss. Aufebauen und pennen – dachte ich. Unten am Flussufer waren noch Leute unterwegs, die offenbar weder nüchtern noch einer Meinung zu sein schienen – soweit ich das aus dem Zelt hören konnte. Was allerdings sehr deutlich zu hören war, war ein fortwährendes, aufforderndes „Do it, do it. You can do it. Do it!“. Wer da auch immer mit wem unterwegs war, war offensichtlich auf Krawall aus. Während ich so dalag im Zelt und anhand der Stimmen vernehmen konnte, dass sie sich meinem Zelte jedenfalls nicht näherten, dachte ich darüber nach, wo ich Bärenspray, Axt und Paddel als potentielle Verteidigung drapiert hatte und beschloss, mich auf gar keinen Fall freiwillig außerhalb des Zelts zu begeben – dann konnte mich auch keiner der Trunkenbolde aus Langeweile in irgendwas hineinziehen. Während sich die Stimmern mit einem „Do it, do it!“ dann sogar entfernten, gab es plötzlich ein paar dumpfe, klatschende Töne, die nach Fausthieben klangen. Die Stimmen verstummten. Danach gab es noch Stimmen, die aber keinesfalls mehr so deutlich klangen und dann ganz verstummten. Kurz danach gab es von weiter entfernt eine Salve Schüsse. Bäm. Bämbämbämbäm. Eine (vorher) volle Revolvertrommel würde dazu passen. Dann war nichts mehr zu hören. Auf gar keinen Fall werde ich das Zelt verlassen sondern bleibe hier flach am Boden liegen. Merkwürdigerweise schlief ich irgendwann ein.

Was für eine Nacht – und wo bin ich hier nur gelandet? Meine Blase trieb mich morgens aus dem Zelt – bis auf das Wetter wirkte alles ruhig und friedlich. Auch unten am Fluss keine verletzten Menschen, wie ich schon befürchtet hatte. Hm. Ich machte es mir unter dem Unterstand bequem und briet Reis an, um Rührei darunter zu mengen. Herrlich. Mir kam in den Sinn, dass ja Sonntag war – sechs Tage unterwegs! Also war gestern Samstag, dessen Abend sicherlich einige zum Feiern ausgenutzt haben.

Das Wetter war kalt, windig und nieselig. Ich hoffte, dass es – wie üblich – abends besser wurde. Das Zelt hatte ich schon abgebaut. Einerseits, um bei einem guten moment keine Zeit zu verlieren. Andererseits, um mein Zelt nicht in der Gefahrenzone der Feuermachversuche von ein paar Einwohnern zu überlassen. Denn unter dem Unterstand war eine Feuerstelle, die der Allgemeinheit galt. Also tigerte ich ein wenig durch Grayling und versuchte über die Karte, noch ein wenig über den kommenden Flussabschnitt zu erfahren. Die Jugend wusste aber nichts, und ältere traf ich nicht an. Irgendwann wurde mir kalt und langweilig. Ich fand Unterschlupf in der Tribal Hall. Die Tür war offen, es war geheizt und Sofas zum Hinlümmeln standen herum. Puh. Meine Erleichterung währte nur kurz. Ich bekam Besuch von zwei jungen Männern, die erst furchtbar nett waren und hoch interessiert an mir und meinem Vorhaben. Schnell war jedoch feststellbar, dass die beiden (offenbar noch immer) betrunken waren. Die Flasche Wodka ging dann unverblümt zwischen den beiden hin und her (Last Chance war offenbar nicht weit genug weg?). In einem hellen Moment wurde sie mir auch angeboten, was ich jedoch dankend und so höflich es ging ablehnte. „Drink with us“. Gute Güte. Ich gab vor, zu nippen und reichte die Flasche weiter. Einer der beiden hatte ein blaues Auge. „What happened to you?“ fragte ich. „He disagreed with someone stronger“, bekam ich vom anderen lachend zu hören. Ich reimte mir eins und eins mit letzter Nacht zusammen. Draußen war das Wetter immer noch murks. Wo konnte ich denn nur hin, um alles in Ruhe auszusitzen? So lospaddeln war auch keine Option und hier bekam ich alles zwei Minuten die gleichen Fragen gestellt. Boa. Plötzlich gab es draußen Motorengeräusche. Eine Quad (oder four-wheeler) fuhr vor, jemand kam herein und zeigte auf mich. „You. Canoe guy. Come with me.“ Perfekt, dachte ich. Besser kann ich wohl „leider“ nicht weg. Ich entschuldigte mich und ging mit dem Neuankömmling nach draußen. Er deutete mir an, auf die Quad hinten aufzusteigen und los gings. Mich überkam das ungute Gefühl, dass dies vielleicht auch nicht die allerbeste Idee gewesen sein könnte, aber da kamen wir auch schon an einem Haus an. Drinnen erwarteten mich zwei Männer, die auf einem Sofa und auf einem Sessel rumlungerten und offenbar auch Langeweile hatten. Eine Wodka-Flasche stand in der Mitte. Innerlich verdrehte ich die Augen. Himmel. Der Herr des Hauses hatte fast vollständig zugeschwollene Augen. „I was shot.“ war die Antwort auf meine direkte Frage. Von wem und wodurch war nicht richtig aus ihm rauszubekommen. Nachdem ich auch hier irgendwann immer wieder die gleichen Fragen beantworten musste (what about the [dunkle dt. Vergangenheit]? And Volkswagen, good trucks?), schaute ich nach draußen. Immer noch so ein Mistwetter. Plötzlich zwei neue Besucher. Die beiden aus der Tribal Hall gesellten sich dazu. Mir wurde es zuviel und ich log, dass sich das Wetter verbessert habe und ich unbedingt jetzt los müsse. Ich verabschiedete mich und lief unter stetigen Aufforderungen, doch noch mitzutrinken, nach draußen. Der Quadfahrer fühlte sich offenbar befleißigt, mich sicher zum Fluss zu geleiten (diesmal ohne Quad). Er hatte beim Wiederanziehen seiner Schuhe links und rechts vertauscht, ging dafür aber recht schnell zu Fuß. Ich wollte hier nur noch weg, so leid es mir tat. Ich erinnerte mich an einen der Ratgeber für den hohen Norden. „Don’t stay in towns during the weekend unless you have friends or stay in a B’n’B.“ Oder „If you don’t fit in, find somewhere else.“ Es war so traurig und ich hoffte inständig, dass ich nur Pech hatte und allen, besonders dem Rest der Einwohner durch meine überstürzte Abreise unrecht tat. Schnell verschwand ich unten am Fluss im Kanu, während der Mann von der Quad noch wankend oben am Steilufer stand. Das Wetter hatte sich tatsächlich etwas verbessert und ich winkte ein letztes Mal.

Das Wetter nahm schnell den unruhigen, nieseligen und windigen Zustand wieder an. Die Strecke bis zum nächsten Dorf, Anvik, war nur 19 Meilen weit. Es kann nur besser werden, dachte ich. Dachte ich… Der Wind frischte auf, obwohl es schon nachts war. Es war wegen des schlechten Wetters dunkler als sonst und das Ufer zur rechten Hand bestand fast ausschließlich aus Abbruchkanten, wie ich sie schon am Südufer von Koyukuk Island hatte, mit unruhigem Wasser, dass durch den Gegenwind noch unruhiger wurde. Kein Platz zum Anlegen und es regnete munter weiter. Ich erinnerte mich gruselnd an eine Geschichte von Igor aus 2014, der sich in den Flats bei Sturm unter einer überhängenden, wankenden Abbruchkante festgefahren hatte. Brrr… Es half alles nichts. Weiterpaddeln. Weiterpaddeln. Weiterpaddeln. Erst kurz vor Anvik wurde es besser, so dass ich die freie Fläche (vor der ich schon Respekt aufgebaut hatte) an der Mündung des Anvik Rivers gefahrlos queren und das Stückchen des Anvik Rivers so hinaufpaddeln konnte, damit ich Anvik nicht verpasste. Völlig durchnässt, durchgefroren und ausgepowert erreichte ich Anvik und fand bei der  zweiten Ausstiegsmöglichkeit eine gute Anlegestelle, neben der über einem Steilufer ein schöner Platz zum Zelten vorzufinden war. Ein kleiner schicker Unterstand war auch da, den ich (nachts um halb drei) flugs in Beschlag nahm um meine Sachen zu trocknen. Es wirkte hier vieles friedlicher. Nur die Mücken waren furchtbarer als sonst; mit schweren Verlusten entkam ich ins Zelt. Was für ein Vergleich mit Grayling. Zutiefst beruhigt schlief ich ein.

Paddelbilanz: 19 Meilen (31,1 km)

Belohnung nach einem Höllenritt in der Nacht: Mein Zeltplatz in Anvik

Bilderstrecke zu Blown away

Blown away

Ein leichter Kopfschmerz weckte mich auf. Man, was für ne bekloppte Aktion mit dem aufgeladenen Kanu. Aber ist ja alles gut gegangen. In Kaltag sollte es einen guten kleinen Laden geben, zudem eine Washeteria – vielleicht gibt es sogar eine warme Dusche? Auf dem Weg zum Laden wurde ich aber von einem älteren Herren abgefangen und zum Morgenkaffe eingeladen. Es ist immer schön zum Kaffe eingeladen zu werden. Aber anstrengend wird es, wenn man nach drei mal „wie bitte“ in den Nicken-und-Lächeln-Modus verfallen muss, weil man nix versteht 🙂 Aber auch traurig – es waren bestimmt für den älteren Herren wichtige Dinge aus seinem Leben, die ich da nicht richtig verstanden habe. Nach dieser ersten Herausforderung des Tages gings dann wirklich zum Lädchen. Noch einen Kaffee, ein sündhaft teueres Snickers – welch Dekadenz – und schon die Frage „Are you the guy with the canoe?“ – „Yes…“ (in so einem kleinen Dorf verbreiten sich News ja sehr schnell…). – „I chased off some dogs from your canoe this morning. Are you sure everything is ok?“… Jetzt war ich tatsächlich sprachlos und verließ nach dem Gespräch grübelnd den Laden. Was konnte denn da los sein? Die Washeteria hatte jedenfalls geschlossen. Also keine warme Dusche. Beim Packen und Beladen des Kanus fiel mir dann in die Hände, wonach die Hunde gesucht hatten. Der Beutel getrockneter Streifen Elchfleisch, den mir Garrett am Tag vorher gegeben hatte, lag noch im Kanu. Ein Glück: nicht eingeweicht und ausgelaufen. Das wäre der Super-Gau. Ein Kanu, dass nach Elchfleisch riecht (den Geruch hätte ich vermutlich auf dieser Tour auch nicht mir mehrmaligem Auswischen weg bekommen). Da hätte ich bestimmt viel Bärenbesuch bekommen. Einmal mehr schmunzelte ich, schüttelte innerlich den Kopf über mich und machte drei Kreuze.

Es war etwas windig, aber im großen und ganzen war das Wetter ok. Also brach ich auf. Ich „wartete“ allerdings schon darauf, wann mich Freund Wind wohl am Ufer Pause machen schickt. Und tatsächlich, er verleidete mir das Paddeln ungeführ nach 5 Meilen – ich machte halt am zweiten Fishwheel des Tages. Die Fishwheels funktionieren übrigens so: An einer Achse sind drei bis vier Fangkörbe angebracht und werden durch die Strömung in Rotation versetzt (Öffnung in Strömungsrichtung). Das funktioniert, da außen am Boden des Korbes eine Plane angebracht ist, die im Wasser (von unten) gegen den Korbboden gedrückt wird, beim Herausheben aus dem Wasser aber den Kontakt zum Boden verliert und so die Umdrehungen des Rades überhaupt erst ermöglicht (die Plane ist nur an der Seite des Korbes angebracht, die am nächsten zur Achse ist). Die Lachse schwimmen flussaufwärts und damit in die Fangkörbe. Bevor sie da raus gefunden haben, wird der Korb aber schon aus dem Wasser gehoben. In der Mitte ist dann eine Rutsche, in die die Lachse beim weiteren „Hochfahren“ aus dem Wasser hereinfallen. Und am Ende der Rutsche in einer Kiste (auf einem Haufen weiterer Lachse) landen. Die Fishwheels werden immer in bzw. kurz vor Beginn von Kehrwassern eingesetzt, denn Lachse lieben das Kehrwasser – die Strömung verläuft dort anders und sie können so Energie sparen.

Ein typisches Fishwheel in der Gegend um/nach Kaltag. Man sieht gut die schmale Stegverbindung zum Festland, die Plane zum Ausnutzen der Strömung und die Montagekonstruktion

Auf das Fishwheel passten Bradley uns ein Vater mit seinem Sohn auf (deren Namen habe ich leider vergessen). Es gab schon wieder Kaffee und während der Wind vorüber pfiff, machte ich unter dem Schutzdach ein kleines Nickerchen. War ja schon Schwerstarbeit heute. Irgenwann wird sowas natürlich langweilig. just als mir das bewusst wurde, kam ein Motorboot vom Fishwheel flussaufwärts. Jemand bat um Hilfe, denn das Fishwheel hatte sich teilweise aus der Verankerung gelöst. Ich nutze die Gelegenheit und bot meine Hilfe an. Schon saß ich mit im Boot flussaufwärts. Als Dankeschön gabs zum Abschied, als der Wind ein wenig abgeflaut hatte, zwei Whitefish mit auf den Weg. Die konnte ich recht bald zubereiten, denn nach ungefähr nur einer weiteren Meile nach der nächsten Biegung pustete es wieder so stark flussaufwärts, dass ich gefühlt stehen blieb. Ich arbeitet mich noch zur nächsten Hütte in Sichtweite vor und verkroch mich darin samt Whitefisch, den ich mir dort schmurgelte. Während ich also so in der Hütte (die keineswegs allzu massiv war) hockte, merkte ich, dass das hier eine extrem blöde stelle zum Ausharren war. Die Hütte war nicht mückendicht – schon gar nicht bärensicher – und roch jetzt nach Bratfisch. Und auch drumherum kein ordentlicher Platz für das Zelt. Also machte ich bei nächster Gelegenheit los – nur um nach zwei Meilen entnervt beim nächsten Fishwheel halt zu machen. Hier passte Dakota, ein 21jähriger Musiker auf das Rad auf. Er lud mich ein, bei ihm den Wind auszuwarten – die Einladung nahm ich natürlich gerne an. Dakota hatte Verwandschaft in Kaltag, wollte aber eigentlich mit seiner Musik sein Geld verdienen. Dies hier war ein Sommerjob für ihn. Vor mir sei eine Gruppe von Litauern im Kanu unterwegs, ca. 4-5 Tage voraus, erzählte er mir. Auch, wie er vor kurzem erst einen Bären verscheuchen musste, der die im Überfluss gefüllte Kiste mit den Lachsen gerochen hatte. Die Fishwheels brauchen natürlich einiges an Tiefgang und sind daher ein Stückchen weit weg vom Ufer. Mit dem „Festland“ sind sie nur über einen furchtbar schmalen Stag verbunden (siehe zB Foto oben). Diesen Steg konnte Dakota dann auch „halten“ gegen den Bären, indem er mit Stock und Stimmbändern richtig Randale machte. Ein Gewehr wie der Mann am allerersten Fishwheel vor Kaltag bei Benedum Landing hatte Dakota nämlich nicht dabei. Erstaunlich, wie unterschiedlich Menschen damit umgehen. Dakota musste allerdings am Ende doch einen Lachs rüberwerfen, so hartnäckig war der Bär. Der Bär sei trotz seines „Erfolgs“ trotzdem noch nicht wieder da gewesen. Was ein Glück. Ich leistete Dakota noch Gesellschaft, bis der Wind nachließ. Da war es schon 23.00 Uhr! Er gab mir noch einen King Salmon mit, den ich im Müllbeutel verpackt auslaufsicher am Bootsboden (Kühlschrank, solange man paddelt!) verstaute. Erstaunlich, wie der Wind immer nachts nachlässt, sobald die Sonne verschwunden ist. Ich konnte (musste?) noch vier stunden durch eine wunderbare Nacht paddeln. Das kannte ich ja schon aus den Flats, aber ich war mir nicht sicher, ob ich die ganz Nacht hindurch etwas sehen würde. Es klappte aber wunderbar, auch wenn es gegen halb zwei schon anstrengend wurde, Dinge richtig zu erkennen. Aber glücklicherweise erkanne ich die Dinge noch – ein Schwarzbär trottete am Ufer entlang, und einen Wolf bekam ich auch zu sehen: Als ich auf die Kehle einer Linkskurve zupaddelte, bemerkte ich eine merkwürdige Kontur am Ufer, vor einer Mini-Lichtung. Ich paddelte nun ganz vorsichtig und langsam darauf zu und versuchte im Dämmerlicht auszumachen, was es sein könnte. Sogar so vorsichtig, dass ich mich nicht traute, die Kamera auszupacken… schließlich erhob sich die Kontur und entpuppte sich als großer Wolf. Er schaute mich kurz an und verschwand im Dunkel hinter der Mini-Lichtung. Weg, das war’s schon. Was für wunderschöne Tiere. Noch ganz beseelt von den Eindrücken erreichte ich um 3 Uhr morgens Morgan Island. Ich baute schnell alles auf, legte den King Salmon im Mülltbeutel ins Yukon-Wasser zur Kühlung und beschwerte alles mit einem Stein. Dann, endlich, war pennen angesagt.

Blick flussaufwärts von Morgan Island

 

Ich musste lange schlafen. Aber in wunderschönem Sonnenschein (und kräftigem Wind) machte ich mich flugs daran, den King Salmon zuzubereiten (Frühstück…). Filetiert, mit Salz, Pfeffer und getrocknetem Knoblauch in Alufolie eingewickelt und auf das Grillrost gestellt. Fehlte nur noch das Feuer. Endlich mit der Axt dem Treibholz zu Leibe rücken. Zwischendurch war auch Zeit für ein Bad in den braunen Fluten und einige Nickerchen. Herrlich. Das war Leben am Fluss. Mir fiel auf, dass ich seit meiner Ankunft in Galena vor drei Tagen das erste mal tatsächlich in der Wildnis gezeltet hatte und nicht „in der Zivilisation“. Schräg irgendwie. Passend zu diesen Gedanken fuhr in der Ferne am Ostufer der Insel eine Barge vorbei. Das Frachtschiff war schwer beladen mit Baggern und ähnlichem Gerät. Leben an diesem Flussabschnitt war doch wahrnehmbar. Ausgestattet mit der eigentlich nicht unbekannten Erfahrung, dass man nachts wegen des nicht vorhandenen Windes besser paddeln kann, machte ich um halb acht abends los. Das Wetter war herrlich, nur einmal zog ein kurzes Gewitter auf, dass mich für eine halbe Stunde ans Ufer und in die Regenklamotten zwang. Ich passierte Eagle Slide, eine Steilklippenformation, um wenig später das metallene Riesenfishwheel zu finden, von dem Dakota mir schon berichtet hatte. Dort machte ich zunächst Pause, ließ mich aber von der Besatzung einladen, in deren Camp ein wenig flussabwärts zu übernachten und die Annehmlichkeiten eines größeren Camps zu genießen (Bärenschutz, ständig vorrätiger heißer Kaffee, Trockenklo). So konnte ich am nächsten Tag auch wieder früher lospaddeln, was sich jedoch als riesengroßer Unsinn herausstellte. Nachdem ich zweimal vom Wind ans Ufer gezwungen wurde, dort aber außer Bärenspuren und -kot nichts erbauliches vorfand, entschloss ichh mich soweit voran zu „kriechen“, wie ich konnte. Im Tunnel auf der Westseite von Eagle Island war es dann soweit: Mitten auf dem Wasser brachen sich die Wellen, Whitecaps allenthalben und ich kam keinen Meter mehr weiter. So aufgeschmissen, machte ich erstmal Feuer – vielleicht konnte ich so Bären wenigstens davon abhalten, überhaupt am Ufer entlang zu trotten (und auf diese Weise zufällig auf mich zu stoßen). Nachdem ich auch hier festgelstellt hatte, dass es ein äußerst ungeeigneter Platz zum Übernachten war (Steinufer, keine Lichtung im Hinterland zum Zelten und die Bärenspuren an den Ufern ein paar Kilometer flussaufärts), setzte ich alles auf die Karte „Warten“. Mit Erfolg, auch wenn es ca. 8-9 Stunden dauerte bevor es weiterging.

Blick auf den Yukon flussabwärts während der Wind das Geschehen beherrscht. Das Feuer brennt bei dem Wind gut und braucht viel Holz – das lässt der Langeweile keine Chance – die Axt ruft!

Aber auch danach war das Wasser noch unfassbar aufgewühlt, es fing an zu nieseln, dann regnete es richtig und wurde kalt. Ich fragte mich, ob ich nicht sogar zu sehr auskühlte, als ich auf der Karte das Mini-Dorf Blackburn ausmachte – war hier wirklich alles so zerstört und verbrannt, wie man mir in Kaltag und den Camps erzählte? Nachdem ich im zweiten Anlauf tatsächlich die richtige Anlegestelle vorgefunden hatte, kämpfte ich mich durch das mittlerweile hohe Gestrüpp, machte Lärm um Bären vor mir zu „warnen“. Nur um abgebrannte Hüttenreste vorzufinden. Und Myriarden Mücken. Flussaufwärts erzählte man sich , ein Verrückter hätte die Hütten angezündet und treibe sich immer noch am Fluss herum, angeblich hause er im Winter bei Ruby in einer Höhle. Hier war jedenfalls nur ein großer Wellblechschuppen noch ansatzweise intakt. Dort mochte ich mich aber nicht niederlassen und so sammelte ich die letzten Kräfte und padddelte noch die ca. 2 1/2 Meilen weiter bis Alice Island, wo ich dann um fünf Uhr morgens absolut erschöpft die Augen im Zelt schloss.

Blick von Alice Island nach Westen (flussabwärts=links). Die vorgelagerte Sandbank täuscht – man kann nicht ans gegenüberliegende Ufer laufen!

Am nächsten Morgen gab es schönes Wetter. Ich traute zwar dem Braten nicht, und mir steckte vor allem die Erschöpfung des vergangenen Tages in den Knochen (vor allem im Kopf), aber interessiert das hier jemanden? Es ergab sich eine wunderschöne Paddeltour durch die Nacht, über spiegelglatte Wasser – und durch aufkommende Kälte. Während ich so im Boot frohlockte und die Stille und das Naturschauspiel genoß, bewegte sich am rechten Ufer etwas. Ein Grizzly trottete flussaufwärts! Wahnsinn, wie schnell man da alles andere vergisst. Ich traute mich diesmal die Kamera auszupacken, machte ein paar Fotos und sah dann zu, dass ich mehr Abstand zwischen mich und den Bären – also das Ufer – bekam. Schlussendlich machte ich den Bären mit ein paar Klopfern des Paddels aufs Boot und ein paar Rufen auf mich aufmerksam. Und tatsächlich, er sondierte mich, setzte sich auf, versuchte Witterung aufzunehmen – und verlor nach einer Weile das Interesse an dem komischen roten Ding mit gelben Flügeln (die Paddelflächen) und dem blaugrünen Männeken darin. Puh. Und so paddelte ich weiter durch die immer kälter werdende Nacht und erreichte tatsächlich um zwei Uhr bei zwei Grad Celsius Grayling! Ohne es richtig zu bemerken, hatte ich die längste Etappe ohne Zivilisation (vermeintlich – getroffen habe ich ja doch recht viele…) gestemmt – 111 Meilen (knapp 180 km).

Spiegelglatter Fluss – bis hier eine Seltenheit!

Grayling ist nicht mehr weit!

Der Grizzly kurz vor Grayling. Lieder fand ich erst nachher raus, wie man die Kamera vernünftig für Aufnahmen im Dämmerlicht einstellt… (so hell wie das Bild wirkt war es nicht mehr)

 

Yistletaw und Dosenbier

Der Wind flaute während der Nacht dann doch ab, so dass es am Morgen nur noch leicht windig war. Wobei er sogar gedreht hatte – Rückenwind! Nach ein paar Regenschauern und Schwätzchen mit Jake konnte ich loslegen. Das mulmige Gefühl verschwand nach den ersten Paddelschlägen und ich erinnerte mich selbst daran, dass ich direkt in der zweiten Kurve eine Abkürzung ausprobieren wollte: Einerseits um Strecke zu sparen, andererseits um ein Feeling für Querungen zu bekommen. Denn die Querungen, die ich das letzte Mal tunlichst vermieden habe, wollte ich diesmal möglichst früh austesten. Ihnen würde ich zwei bis vier mal auf gar keinen Fall aus dem Weg gehen können. Besser, wenn ich das dann schon kenne. Ich nahm Kurs auf den Kanal zwischen dem Inselverbund Hen- und Jimmy Island und Cook Island, anstatt direkt aufs Ganze zu gehen und den Jimmy Slough auf der linken Flussuferseite zu nehmen. (Achtung Anleitung: Ich verwende die Bezeichnungen aus der USGS-Karte „Nulato“ im Maßstab 1:250.000; zu finden, wenn man auf der Seite usgs.gov die Rubriken „Products“, „Maps“ dann „USGS Store“ und dort „All Products“ und anschließend die Suchfunktion mit den entsprechenden Parametern verwendet.) Denn ich hatte noch zu viel Respekt vor dem Wort „Slough“ auf den Karten, waren Sloughs im Allgemeinen doch in anderen Reisebeschreibungen als versandende dead-ends beschrieben worden. Aber das Gegenteil ist der Fall – warum wird ein Seitenkanal sonst wohl als xyz-Slough auf einer 1:250.000-Karte herausgestellt? Aber wie fast immer im Leben lernt man ja nur aus eigenen Fehlern… versandet bin ich nämlich fast zwischen diesen Inseln. 🙂 Aber alles ging in Summe gut – die Fast-Querung machte mir Mut für das, was da noch kommen sollte. Kurz vor „Yistletaw“ (auch „Bishop Rock“ genannt genannt, weil hier 1886 ein Bishop ermordet worden war) frischte es auf und dunkelste Wolken zogen auf. Ich hielt also schnell am dortigen Fishcamp an, ein paar Motorboote lagen am Ufer und zeugten von menschlicher Anwesenheit. Ich schaffte es gerade noch, die Regenklamotten anzuziehen, als die Bindfäden von Himmel kamen. Hölle. Der Trampelpfad führte hinauf in eine Ansammlung von Hütten. Dort nahmen mich Frank und Marca, beide über 80, in Empfang und luden mich in ihre Blockhütte ein. Drinnen schliefen die Enkel und es gab Kaffee und Pilot Bread mit Nutella-Äquivalent und Marmelade. Obwohl sie hier den Sommer über zum Fischen waren, gab es noch keinen, denn der King Salmon war erst seit heute und nur für 24 Stunden frei. Der King Salmon wird am Yukon mittlerweile nur noch zu bestimmten Zeiten zum Fang freigegeben. Angesichts der weltweiten Überfischung verständlich. Was im Ozean gefungen wurde, kann nicht mehr zur Laichzeit heraufschwimmen und hier gefangen werden. Und wenn das, was noch heraufschwimmt, dann alles hier gefangen wird, kommen demnächst auch keine Lachse mehr aus dem Fluss in den Ozean… Die Leidtragenden sind wie immer die, die am wenigsten Anteil am Raubbau haben – hier z.B. Frank und Marca. In ihren Erzählungen war bemerkenswerterweise jedoch kein Groll zu hören. Als sich das Unwetter nach ca. eineinhalb Stunden sicher verzogen hatte, machte ich mich wieder auf zum Boot. Während ich das Wasser mit einem alten halbierten milchkanister aus dem Boot schaufelte, kam mir die Ewigkeit, die ich beim Fast-Versanden zwischen den Inseln mit dem Stechpaddel gebraucht hatte, in den Sinn. Warum benutzte ich eigentlich das Doppelpaddel nicht? Flugs montierte ich das Doppelpaddel und es sollte sich auszahlen: Ich konnte mehr Geschwindigkeit machen – schnell näherte ich mich Koyukuk Island, die wie ein Pfropf in der Einmündung des Koyukuk River, des letzten großen Zuflusses des Yukons liegt. Auch hier hatte ich zuvor großen Respekt – würden mich jeweils beide Zweige des Koyukuks mit ihrer Eigenströmung weit in die Mitte des Yukons spülen? Das sollte sich als harmlos herausstellen. Womit ich jedoch nicht gerechnet hatte, war die Strömung an der Yukon-seitigen Abbruchkante von Koyukuk Island. Die Strömung des Yukon war hier sehr groß, und wegen der vermutlich unter Wasser liegenden Hindernisse (eingebrochene Bäume) war das Wasser sehr unruhig. (Auf diese Konstellation sollte ich noch häufiger stoßen.) Passend dazu kam erst ein kräftiger Schauer und danach Gegenwind auf, der das Wasser nicht einfacher zu fahren machte.  Als ich dann endlich den zweiten Einfluss des Koyukuk erreichte, war ich extrem erschöpt und freute mich tierisch darüber, dass das Dörfchen Koyukuk ja von hier aus ca. 1,5 km flussaufwärts (!) des Koyukuk lag. Aber, es ging alles. Nach insgesamt neun bis zehn Stunden erreichte ich Koyukuk und hatte alle Ausrüstungsideen ausprobiert. Ein guter Tag. Zum krönenden Abschluss hatten die Dorfbwohner oben an der Anlegestelle Sofas mit allerfeinstem Ausblick aufgestellt!

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Koyukuk: Es könnte schlechter sein – unten das Kanu, oben die Sofas!

 

Last Chance – Motorboot und Dosenbier
Koyukuk selbst ist ein außerordentlich kleines Dorf – keine hundert Einwohner zählt es noch und ist sehr weitläufig. Gesprochen habe ich nur mit einem einzigen Einwohner. Gesehen noch zwei andere. Hören konnte man allerdings die Dorfjugend, die auf den Quads fließig herumrasten 🙂

Etwas geplättet stieg ich den nächsten Tag wieder ins Kanu. rechte Hand passierte ich Last Chance, den letzten „Laden“ (eine zurückgesetzte Blockhütte abseits von Koyukuk mit eigener Anlegestelle), in dem man Bier und andere alkoholhaltige Getränke kaufen konnte. (Flussabwärts von hier ist das Vertreiben/Besitzen von von Alkohol streng verboten.) Kurz vor Nulato und in Nulato selbst machte ich eine kurze Pause, wollte aber noch etwas weiter Richtung Kaltag. Das erste Fishwheel sah ich am Rand, kurz vor einem Kehrwasser. Die Dinger fangen Lachse von allein, differenzieren aber natürlich nicht nach Lachssorte. Wie das dann funktioniert, durfte ich später lernen. An der Stelle „Benedum Landing“ war ein Camp aufgebaut, ich machte Halt. Doch der Mann dort machte mir keine Hoffnungen, in der Nähe seiner Campstelle zu zelten. Gestern sei ein riesiger Grizzly in sein Camp rein, und er musste ihn mit ein paar Schüssen verscheuchen. Ich solle besser eine Insel nehmen, die er mir auf der Karte zu zeigen versuchte. Dort wären keine Bären, keine Mücken (die waren hier tatsächlich furchtbar) und er wolle mir später noch einen lachs vorbeibringen. Nun gut, dachte ich und paddelte weiter. Ungefähr 2 Meilen später, ich nahm einen geschützten Kanal zwischen dem rechten Flussufer und einer Insel, kam von hinten ganz langsam ein Motorboot heran. Der Fahrer Garrett hatte offensichtlich Redebedarf, denn er fuhr parallel zu mir, horchte mich etwas aus und warf mir eine Dose Bier und getrocknete Streifen aus Elchfleisch herüber. Das Leben am Fluß könnte schlechter sein, denn das gab es 2014 und 2016 nicht, fuhr mir durch den Kopf. Garrett zog um nach Holy Cross und wollte auf dem Weg seinen Bruder in Kaltag besuchen. Eine weitere Bierdose später banden wir mein Kanu mit der Leine an seinem Boot fest und ich fuhr mit ihm mit. Noch eine Bierdose später wurde mir klar, dass das reichlich bescheuert ist, was hier passiert. Ich war total ausgepowert, kippte mir Dosenbier rein und wollte danach noch irgendwas auf die Kette kriegen? Und das Kanu fing im Zug von Garretts Boot keineswegs geradeaus, sondern driftete immer von links nach rechts und neigte sich beim Kurswechsel jeweils bedrohlich. Da Garrett immer mutiger (d.h. schneller) wurde, fürchtete ich schon, das Kanu würde irgendwann kentern. Mir schien es am klügsten, die Sache etwas anders zu lösen und opferte den mir in Aussicht gestellten King Salmon: Da Garrett ja ohnehin nach Kaltag wollte, bat ich ihn, mich dann doch direkt nach Kaltag mitzunehmen – nur mussten wir dazu das Kanu auf sein Boot hiefen, damit das gefährliche Schleppen aufhörte. Gesagt – getan! Mit einem 5 Meter langen Kanu quer zur Fahrtrichtung brausten wir nun bei einer weiteren Bierdose über den Yukon! Völlig kaputt erreichten wir gegen 11 Uhr nachts Kaltag, wo wir tatsächlich noch Garretts Bruder besuchten (es gab etwas zu essen). Um 1 Uhr nachts lag ich dann endlich im Zelt und ein klitzekleines schlechtes Gewissen machte sich breit: Am zweiten Tag „geschummelt“? Durch das Mitfahren im Motorboot hatte ich mir ca. 15-20 Meilen gespart – ein halber bis ganzer Paddeltag. Aber ich verscheuchte das Gewissen schnell wieder. Der zusätzliche Puffer würde mir an anderer Stelle sicher helfen.

(Paddel-)Strecke: Galena – Koyukuk: 32 Meilen (52 km), Koyukuk – Kaltag 52 Meilen (84 km).

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Kaltag: Zeltplatz

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Kaltag: Blick den Yukon hinauf

Bilderstrecke zu „… and I try again and again…“