Bärenblut
Von den vermeintlichen Pausentagen war ich so geschlaucht, dass ich relativ früh das nächste Camp auf einer Insel machte, so ungefähr zwei, drei Flussbiegungen nach der Brücke. Was „nur eine Flussbiegung“ ab jetzt bedeutete, durfte ich direkt kennenlernen. So eine „Biegung“ zu durchfahren – zur Sicherheit immer schön in Ufernähe bleiben – dauert dann mal locker eine dreiviertel Stunde oder mehr. Außerdem kam mir am Anfang noch eine Barge entgegen (ja, gegen die Strömung!) – die riesiegen Transportkähne fast ohne Tiefgang. Da es die erste Begegnung mit einer Barge dieser Größe für mich war, bin ich auch zur Sicherheit schön rechts ran und hab mir dann einen Ast gewartet. Um dann festzustellen, dass die Dinger keine Wellen machen, vor denen man als Kanut große Angst haben müsste 🙂 Aber auch mit anderen Problemchen durfte ich Bekanntschaft machen: Das Anlanden an den Inseln wurde etwas schwierig: Man war zwar „an Land“. Aber noch lange nicht dort, wo man Camp machen und das Boot sichern konnte – wie an der Nordsee bei Ebbe… Alles war insgesamt eine Nummer größer.
Für die nächsten Tage hatte ich mir vorgenommen, immer ein bisschen früher mit dem Paddeln zu beginnen, um irgendwann wieder einen zur Tageshelligkeit passenden Rythmus zu haben. Zumindest beim ersten Versuch klappte es einigermaßen: 3.45 erreichte ich die vorab ausgesuchten Insel, die Aussicht auf das gegenüberliegende Ufer im Sonnenaufgang war grandios. 5 Uhr im Schlafsack, 11.00 Uhr Saunatemperatur im Zelt. Trotzdem war es tagsüber windig. Wieso kriegt mein Zelt denn nix von der kühlenden Belüftung ab? Ach ja, ich habs ja immer so geschützt aufgebaut, dass ich wenigstens ein paar Stunden Ruhe vor der Sonne habe… damit aber auch Ruhe vorm Wind 🙂
Krach im Unterholz
Heute sieht es gut aus, ich könnte schon um 18 Uhr lospaddeln und packe meine Sachen zusammen. Plötzlich gibt es einen lauten Knall. Was war Das? Ich blicke mich um und entdecke Rauchkringel im Himmel, Richtung stromaufwärtsgelegener Spitze der Insel. Das muss ein Schuss gewesen sein. Aber sonst nichts zu hören. Oder braucht jemand Hilfe? Ich stecke den SOS-Messenger wieder an den Arm, löse das Bärenspray aus meinem Gürtel und schnappe mir die Axt, dann gehe ich zum Ufer Richtung Inselspitze. Ich rufe laut. Nichts. Ich laufe weiter, fange an zu rennen, rufe weiter. Dann, plötzlich, sehe ich ein Zelt, davor ein Männlein hocken. Gefährlich sieht es hier nicht aus, ich werde langsamer. Dieses Zelt… ich kenne es. Es ist Denis, der Schwimmer. Er freut sich, mich zu sehen und nicht einen Bären. Er hat einen Bear-Banger abgefeuert, weil ihm die Geräusche im Unterholz (meine Geräusche vom Abbauen) nicht geheuer waren. Nach dem Schwätzchen und furchtbar vielen Süßigkeiten breche ich auf. Nicht um 18, aber wenigstens um 19 Uhr. Die Rampart-Rapids warten auf mich – die letzten Stromschnellen des Yukon. Hier liegen jede Menge große Felsen in der Mitte des Flusses. Bevor ich diese passiere, mache ich an einer Insel vor dem Dorf Rampart Pause und vertilge gegen 23 Uhr Müsliriegel und geröstete Erdnüsse, dazu eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne. Ein Elch will den Fluss durchschwimmen und dreht ab, als er mich bemerkt. Zu dunkel für ordentliche Fotos – schade. Die Rapids selbst sind nicht etwa direkt am Dorf Rampart, sondern Kilometer später, an einer engeren Flussbiegung. Links und rechts der Felsen kann man gut passieren – kein Problem. Danach komme ich an vielen Fishcamps vorbei. Sie sind zurzeit bewohnt, aber natürlich ist des nächtens niemand zu sehen. Mist. So bekomme ich hier nichts vom Leben am Fluss mit. Ich suche mir eine Insel ca. 16 Meilen weit vor Tanana – dem Dorf gegenüber der Einmündung des Tanana-Rivers, dem größten Zufluss des Yukons. Ich hoffe, morgen dort zwischendurch halt machen zu können, um eine warme Dusche mitzunehmen. Und und Wäsche zu waschen.
Pustekuchen
Die Idee war verständlich, aber der Wind machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Zwar paddelte ich zeitig los. Trotzdem musste ich, als ich gegen 17.45 (gerade einmal 8 Meilen), von Treibholz überholt wurde, die Sinnlosigkeit meines Kampfes einsehen und landete an. Boot festgemacht, die Böschung rauf, Zeltplatz suchen, wieder runter. Regen dräute nicht, also wartete ich einfach, aß etwas und hockte im Campingstuhl (ja soetwas habe ich tatsächlich mitgeschlört). Es flaute auf einmal ab. War ja klar – wenn ich anlande, hörts auf. Ich traute dem Braten aber nicht und lege mich ans Ufer, schlief eine Runde. Nachdem ich aufwachte, konnte es relativ unkompliziert weitergehen. Tanana erreichte ich dann erst um 20.30 Uhr, nachdem ich zu Beginn des Dorfes von gefühlten tausend Schlittenhunde-Teams angebellt wurde. Am Ufer traf ich auf den örtlichen Flughafen-Wetterfrosch Alex. Ein Ungar, der vor 50 Jahren hierhin ausgewandert ist. Er fuhr mich ein wenig rum, zeigte mir auch den lokalen Campingplatz des Dorfes – sehr schön am Ende des Dorfes gelegen und mit Plumpsklos! Die Washeteria hatte aber zu und machte erst am nächsten Tag um 12 Uhr mittags wieder auf, nur frisches Wasser konnte ich bunkern. Es war schön in dem Ort, aber wegen einer Dusche und Wäsche einen Tag zu warten machte irgendwie keinen Sinn und so fuhr ich weiter. Gegen Mitternacht paddelte ich zu einer Hütte am Ufer (Cabin), zu der mich drei dort sitzende Männer winkten. Es gab Tee und ein paar Infos. Sie kamen aus Tanana und kontrollierten hier ihre Fischnetze. Nachdem ich die Hütte verlassen hatte, musste ich zum ersten mal feststellen, dass man nicht mehr an allen Inseln anlanden konnte – Abbruchkanten. Mist. Soo viele Inseln gibt es hier laut Karte nicht und am Festland wollte ich wegen möglicher Bären nicht campen. Dann sah ich am Ufer (Festland) eine Ansammlung von Hütten und Booten. Was war denn das? Ich paddelte hin und spekulierte auf einen Platz zum Zelten. Wie sich herausstellte war es ein Bibelcamp – Ferienbetreuung für Kinder und Jugendliche, Landebahn für Buschflieger – ein kleines Dorf. Ganz wohl war mir nicht bei der Sache, denn ich konnte niemanden um Erlaubnis bitten. Insgesamt war ich aber zu kaputt, um weiterzufahren. Ich suchte mir ein Plätzchen nah am Ufer so dass ich eigentlich niemanden stören konnte, aber nah genug um nicht übersehen zu werden. Ich befestigte ein Zettelchen am Zelt und fiel um 3 Uhr in tiefen Schlaf. Irgendwann näherten sich erwartungsgemäß Schritte meinem Zelt. Gunnar aus Galena war einer der Betreuer hier vor Ort und rüttelte an meinem Zelt. „Beauftragt“, rauszufinden, wer denn da sein Zelt aufgebaut hatte. Nach er kurzen Unterhaltung war schnell klar, dass ich doch kein Verbrecher war. Aber es war offenabr auch gut, dass nachts niemand zum Fragen da war, denn dann hätte man mich wohl weitergeschickt… Aber jetzt wo ich schon mal da sei – kein Problem. Im Laufe des Tages kamen dann eine ganze Reihe der Betreuer vorbei, einer wollte mir gar eine 5-kg Bibel mitgeben – ich war wohl eine willkommene Gesprächsabwechslung. Oder Bekehrungskandidat. Gunnar gab mir zum Abschied sogar noch ein reich bestücktes Lunchpaket mit, als ich gegen 17 Uhr meine Sachen packte. Nur unten am Boot… der Wind war wieder da. Merkwürdig. Eigentlich flaute es um diese Zeit ab und nicht auf. Was soll’s – Boot wieder entladen war keine Option, also legte ich mich auf den schwimmenden Steg versuchte zu schlafen. Kaputt war ich. Immer noch. ich hatte irgendwie den Eindruck, dass außer Anstrengung im Boot (inkl. Wind) nicht wirklich etwas passiert ist und mir irgendwie etwas fehlt. Meine Akkus waren alle? Ich schlief ein. Es wurde zugig – ich zog meine Jacken an und schlief wieder. Zwei Stunden weiter hatte es etwas abgeflaut und ich wollte weiter, setzte darauf, dass es ab jetzt „normalerweise“ weiter abflaut. Tat es auch. Heute sollte es durch die „Boneyards“ gehen. Eine Stelle, an der der Yukon durch zehntausende Jahre alten Permafrostboden schneidet und an dieser Stelle („The Palisades“ genannt) regelmäßig
eingefrorene Kadaver von Eiszeitsäugetieren (z.B. Mammuts) freigelegt werden. So soll es bei wenig Wind auch nach Verwesung riechen. Wie sich später herausstellte, passte aber meine Route – die ich nach einer Beschreibung an der am geringsten Windanfälligkeit orientierte – nicht zur Erkundung der Boneyards passten. Irgendwie war heute insgesamt der Wurm drin. Gegen 1 Uhr nachts fing es wieder an, windig zu werden, und gegen 3 Uhr – als ich rechts am Festlandufer ein relative gutes Plätzchen entdeckte und gleichzeitig geradeaus in 2-3 Meilen Entfernung sichtbar Sand durch die Luft gefegt wurde – legte ich an. Das es Festland war, war mir diesmal völlig egal. Morgen geht bestimmt nix. Aber immerhin kann ich dann pennen.
So wars auch. Es stürmte und Regen gabs auch ab und zu. Trotzdem versuchte ich wieder um 17 Uhr loszumachen, als es auf einmal völlig abflaute. Nur da hinten, wo gestern die Sandstürme waren, waren jetzt immer noch Sandstürme – egal, die flauen bestimmt auch bald ab. Taten die nicht. Nach ungefähr einer Meile musste ich wieder anhalten für ca. eine halbe Stunde, danach war es nach ca. einer halben Meile wieder so weit. Moment. Noch bis zu der Cabin da vorn. Die sieht bewohnt aus – dort eine Pause zu machen macht bestimmt mehr Spass. Ich paddelte also zur Anlegestelle und wurde sogleich von einem Motorboot und Menschen am Ufer begrüßt. Ob ich hier eine kurze Pause machen dürfe – ja sicher! Auch das fast schon erlösende „Kannst auch hier zelten“ wurde mir sogleich angeboten. Puh. Aber ein Schwarzbär sei heute morgen im Camp gewesen. Den habe man mit Schüssen verscheucht, aber es könnte sein, dass der wiederkommt. Ob ich denn eine Waffe dabei hätte. Nö. Dann wird man mir eine geben. Ähhh… ok. Dann gab es für mich aber erstmal Reste vom Abendessen, von dem noch reichlich übrig war. Leckerer Bohneneintopf – es war fast wie im Himmel hier. Man zeigte mir noch „eben“ die 4-10, eine Art Schrotflinte mir kleinerem Kaliber als hier üblich, die ich im Notfall zum Verscheuchen des Bären nutzen sollte (und um alle anderen zu wecken). Dann wollte er noch eben das Fischnetz kontrollieren – ob ich denn mitwolle. Aber sicher! Während der Wind noch blies, fuddelten wir Lachse aus dem Netz, dass ins Kehrwasser vor der Cabin gelegt war. Wow, ich nehme am Subsistence-Leben teil! Im Netz waren aber hauptsächlich Chum- oder Dog-Lachse (Salmon), die Familie war eigentlich auf Kingsalmon aus. Den könne man am besten trocknen und räuchern, denn das Fleisch ist am fetthaltigsten (rote Farbe).
Bärenblut
Puh, da war heute ganz schön viel los. Vielleicht kann ich ja morgen auch noch hierbleiben und ein wenig helfen, das ist bestimmt eine gute Abwechslung, denke ich. Ich gehe zum Zelt und krame ein wenig herum, um alles Bett-fertig zu machen. Mein Blick fällt auf die Schrotflinte. Ob ich die wirklich brauche? Aus einer Ahnung heraus erhebe ich mich und blicke auf. Ein schwarzer Meister Petz steht, nur gut 20 Meter von meinem Zelt entfernt, halb hinter einem Busch und erkundet schnüffelnd mit der Nase in der Luft das Camp. Ähh…. Ich versuche, mich groß zu machen und zu rufen, die Hände über den Armen. Es interessiert ihn nicht, und er bewegt sich auch nicht irgendwohin. Die anderen sind schon im Bett? Was jetzt? Bärenspray. Nee erst die Flinte. Erst laden, aber geknickt lassen. Dann Bärenspray in die andere Hand, zur Not fallen lassen. Aber was will ich denn tun? Wenn ich ihn verscheuche – der kommt doch wieder? So gehe ich also, den Blick immer auf dem Bären, zum Haupthaus und rufe die anderen wieder heraus. Der Bär wird von heute morgen wiedererkannt. Die Entscheidung ist schnell gefallen. Wenn der heute morgen verscheucht wurde und jetzt schon wieder da ist – es sind auch drei kleine Kinder im Camp. Tom holt die Shotgun aus dem Haus und geht ein paar Schritte auf den Bären zu, dann in die Hocke. Ein Schuss, und der Bär liegt am Boden, die Tatzen zucken noch. Noch ein Schuss. Warten. Der Bär, er ist tot. Doch was tun mit dem toten Bären? Kein Problem, Schwarzbär kann man essen. Flugs werden die Pfoten mit einem Seil zusammen gebunden und der Bär runter zum Wasser gezogen, an meinem Zelt vorbei. Vorbei? Nicht ganz. Bevor ich richtig registriere, was passiert, ziehen wir den Kadaver über die Sturmleinen meines Zeltes, Blut bleibt zurück. Aber es ist keine Zeit für so einen Firlefanz, wir sind schon am Fluß. auf einer Plane hieven wir den Kadaver ins Boot und fahren raus. Hat jemand ein Messer? Ja klar, ich reiche Tom das Puma-Jagdmesser, das ich mal von meinem Vater bekommen habe. Schon ist der Bauch fein säuberlich aufgeschlitzt und die Eingeweide werden versenkt, dann fahren wir zurück.
Wieder an Land, schaue ich nachdenklich auf mein Zelt. An meinen Händen, da klebt Bärenblut.